Hütte auf einem Felsen in Jamaica.
Foto: Michael Lorenzet/Pixelio.de

In 80 Geschmäckern um die Welt

Das Allerwichtigste - lernen wir aus Reiseführern - ist, dass man kein frisches Obst essen sollte. Salat und Gemüse natürlich auch nicht. Wer sich strikt daran hält, verhindert vielleicht den einen oder anderen Durchfall, betrügt sich aber selbst um eine der elementaren Erfahrungen des Reisens.

Bei mir fing das bereits sehr früh an. Eine meiner ersten Reisen brachte mich nach Jamaika. Ich war knapp 20, das Erlebnis ist also fast 30 Jahre her. Nach langem Flug - Flugzeugessen habe ich noch nie angerührt – trieb mich der Hunger in die dunklen Straßen von Kingston. Irgendwo, abseits der Hauptstraße, stand eine Hütte mit einem Laden davor. Am Pult lag Geflügel. Zwei Arten davon. Ein etwas größerer Vogel und ein etwas kleinerer Vogel. Der größere der beiden war ziemlich sicher ein Huhn. Der kleinere der beiden könnte ein Papagei gewesen sein. Gemeinsam hatten sie, dass sie kohlrabenschwarz waren. ‚Verbrannt’, dachte ich. Aber auch ‚Egal. Das will ich probieren’ und zeigte auf den Papagei. Der Kopf fehlte zwar, alles andere, inklusive der beiden Krallen, war aber noch dran. Der freundliche Jamaikaner legte mir den schwarzen Papagei direkt vor die Nase. Keine Serviette, keine Gabel, keine Messer. Dann zog er eine rostige Machete aus dem Boden (Hygienerichtlinie?? Hahaha!), holte weit aus und schlug fünf oder sechsmal auf den Papagei ein. Zum Glück war dieser Papagei bereits tot. Ein, im Monty Python’schen Sinn, Ex-Vogel sozusagen.

Jedenfalls lag der Papagei nach diesen Hieben völlig zerfleddert vor mir, und der Rastafari murmelte etwas, das eigentlich nur Mahlzeit heißen konnte. Er war nicht verbrannt. Im Gegenteil. Heute würde ich schreiben, er war zartrosa, auf den Punkt gebraten und von stimmiger Schärfe. Damals war ich einfach nur baff, wie gut das war. Das Schwarze war nämlich nicht, wie vermutet, verkohlte Haut, sondern eine Kruste aus Jamaikapfeffer, der sich durch den martialischen Tranchierstil gut mit dem Fleisch verbindet. Ein Filet vom Brustfleisch ist so natürlich nicht zu bekommen. Das braucht in Wahrheit auch niemand. Ich war selig mit meinem kleinen Papagei. Der Budenbesitzer erkannte das, lächelte breit und gönnte mir als ‚Dessert’ ein paar Züge von seinem Gras.

Es war mein erster Abend auf der Insel, und er ist unvergesslich. Mein Interesse, die Welt von ihrer kulinarischen Seite her zu entdecken, war geweckt. Dabei haben sich allerdings Vorlieben entwickelt. Ich reise gern in die Länder Ost-und Südost-Asiens. Mein Interesse gilt den alkoholischen Getränken dieser Länder und den Produkten, die die Foundation for Biodiversity von Slow Food als Passagier der internationalen Arche des Geschmacks ausgewählt hat.

Ogye-Hühnersuppe aus Korea.
Ogye-Hühnersuppe aus Korea. Foto: Schmücking

Tiefschwarze Hühner im Süden Südkoreas

In der Provinz Chungcheongnam, genauer im kleinen Dorf Yeonsan, treffe ich Lee Seung Suk, eine interessante Landwirtin mit außergewöhnlichem Hintergrund und ganz besonderen Hühnern. Sie ist überzeugte Veganerin, erzählt aber ohne Abscheu von ihrer Kindheit und dem Hundefleisch (und dass es wirklich gut war). Sie züchtet Hühner, von denen ein guter Teil in der Suppe landet, und sie liebt ihre Tiere. Spricht mit ihnen, sucht die Musik für sie aus. Es sind Ogye-Hühner. Als Rasse ganz einfach daran zu erkennen, dass die Hühner schwarz sind. Durchgehend und tiefschwarz. Federn, Kamm, Krallen, Augen, Knochen. Die Ogye-Hühner sind so etwas wie die Sulmtaler Koreas. Eine seltene Rasse, die durch das Presidi-Projekt von Slow Food einiges an Aufmerksamkeit bekommt. Eine der Maßnahmen zum Schutz der Art ist die Trennung in zwei Standplätze. Zwei etwa gleich große Betriebe, etwa 100 Kilometer voneinander entfernt. Sollte in einem Betrieb unter den Vögeln eine endemische Krankheit auftreten, ist der Fortbestand der Rasse trotzdem durch den zweiten Standort gesichert.

Der Bio-Hof von Lee Seung Suk verfügt auch über ein Restaurant. Das Gericht, um das sich alles dreht, ist die Hühnersuppe. Alleine dieser Suppe wegen lohnt ein Besuch. Die Zutaten: ein halbes Ogye-Huhn, eine Paprikaschote, eine Yamswurzel. Punkt. Die Suppe wird lange und langsam gekocht und bekommt ein Aroma und eine cremige Konsistenz, die beispiellos sind. Das Fleisch ist dunkel, aber nicht schwarz, enorm schmackhaft und fest. Natürlich gibt es im Hofladen auch fermentiertes Ogye-Fleisch. Produziert wird das allerdings auf der traumhaft schönen Insel Jeju. Außerdem gibt es eine süße Paste, bei der das Ogye-Fleisch so lange in Honig und Wasser eingekocht wird, bis es eine weiche, karamellisierte Masse ist, die jede Schoko-Nuss-Creme in den Schatten stellt.

Skorpion am Grill.
Skorpione am Grill. Foto: Schmücking

Natürlich wecken auch exotische Gerichte meine Neugier. Fugu, der teilweise toxische Kugelfisch, der in Japan serviert wird, war eines meiner fulminantesten Geschmackserlebnisse. Zwergwal dagegen eine interessante, aber sensorisch nicht beeindruckende Erfahrung. Mbege, das Bananenbier der Chagga möchte ich nicht missen, weil ich es im Kreis einer Massai-Familie unter einem großen Mangobaum im Norden Tanzanias getrunken habe. Und in Peking habe ich mich langsam an das Angebot der Märke herangetastet. Skorpion am Spieß, kleine Käfer Tausendfüßler sind gut, wenn sie in frischem Sesamöl frittiert wurden. Das wird auch von vielen Chinesen als Snack schnabuliert. Bei der frittierten Vogelspinne sieht die Sache ein wenig anders aus. Mit einer solchen Spinne am Spieß wird man selbst zur Attraktion am Markt und muss – bevor man beherzt in die haarigen Beine beißen kann – für gefühlt 30 Selfies mit chinesischen Kindern zur Verfügung stehen.

Es ist bei weitem nicht so, dass ich ALLES essen würde. Mutproben à la Dschungelcamp sind mir zutiefst zuwider. Wenn etwas aber irgendwo auf dieser Welt eine gastronomisch-kulinarische Tradition hat, will ich es probieren. Und meine Neugier ist noch lange nicht gestillt.

AUTOR: Jürgen Schmücking

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zuletzt geändert am 20.04.2018

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