Eine flache Marschlandschaft, wie kleine Inselchen ragen eine Vielzahl von Grasbüscheln aus dem seichten Wasser. Im Hintergrund ein Auwald und darüber ein bedeckter, indirekt von der Abendsonne beleuchteter Himmel.
Foto: Inge Prader

Fast schon Osten. Beinahe Süden. Auf alle Fälle köstlich.

Auszüge aus „Wie schmeckt das Burgenland?“ von Tobias Müller, Inge Prader und Max Stiegl

[Auszug Einleitung]

Die letzten Ausläufer der Alpen treffen auf die ungarische Tiefebene: An klaren Tagen schimmert in der Ferne der Gipfel des Schneebergs in den Salzlacken des Seewinkels und von den steilen Hängen des Csaterbergs verliert sich der Horizont hinter einer endlosen Steppe. Das Burgenland ist ein ganz besonderes Land: Kein anderes Bundesland vereint eine so spektakuläre Vielfalt an Landschaften, Menschen und Kulturen in sich. Neben der deutschsprachigen Mehrheit leben hier Ungar*innen und Kroat*innen, Slowen*innen und Roma, es gibt jüdische, orthodoxe, katholische und protestantische Gemeinden.

Eine Reise vom nördlichen Neusiedler See bis hinunter an die slowenische Grenze – von den Hasenjägern südlich der Donau den Kästnklaubern im Mittelburgenland bis zu den Breinwurstmachern und Kürbiskernölschlägern des Dreiländerecks. Eine Anregung für möglichst viele Menschen, sich selbst auf den Weg zu machen.

Blauer Himmel mit sich am Horizont verziehenden Wolken, in einiger Entfernung grüne, leicht hügelige Wiesenlandschaft mit vereinzelten Laubbäumen, im Vordergrund ein ockerfarbenes Feld mit hochstehenden
Zwischen Jois und Winden, Foto: Inge Prader

[Auszug Nordburgenland: Purbach]

„Wos is heit fia a Tog? Montag Kneidltog und Mittwoch Strudltog“, heißt es in dem alten Volkslied, das mir meine Großmutter beigebracht hat. Die beiden waren mir die liebsten Tage. In den 1970er-, 1980er-Jahren als Ferienkind meiner Großmutter in Purbach am Neusiedler See, einer Kleinstadt mit typisch burgenländischer Geschichte. Feketeváros, „schwarze Stadt“, hieß Purbach auf Ungarisch. Und auch meine Großmutter, geboren 1913, lernte in der Schule noch Ungarisch. Sie ist im ältesten Gasthaus von Purbach aufgewachsen, im Gemeindegasthaus. Die Adresse ist heute international bekannt, als Max Stiegls Gut Purbach. Die Schwägerin meiner Großmutter war jene Strudelwirtin, die ihre Rezepte dem Max Stiegl quasi vererbt hat. Meine Großmutter hat in eine Fleischhauerei samt gemischter Landwirtschaft mit Wein- und Ackerbau eingeheiratet und die große Wirtschaft erst allein durch den Krieg und später als Witwe mit drei Kindern als unumstrittene Chefin geführt. Sie war das Oberhaupt der Familie und die Heldin meiner Kindheit.

Vier Ferkel im Eingang eines hölzernen Verschlages. Die zwei linken kommen gerade heraus und blicken in Richtung der Kamera, die beiden rechts zeigen uns auf ihrem Weg hinein in den Stall ihre Hinterteile mit Ringelschwänzchen. Der Boden vor dem Stall ist
Auch die Schweinderl halten sich an den Rechtsverkehr. Foto: Inge Prader

Meine Oma war es als ältestes von neun Kindern von klein auf gewöhnt, hungrige und durstige Menschen zu versorgen, gegebenenfalls auch in großen Mengen zu bekochen. Vor allem in der Zeit der Weinernte, wenn es neben der Familie und den Fixangestellten auch die Lesetrupps zu versorgen galt, standen riesige Töpfe auf dem erst mit Holz, später mit Strom befeuerten Herd. Gulaschsuppe, Krautfleisch, Rostbratelbohnen, Würstel, kalte Blunze, Brot dazu und eingelegtes Gemüse. Da gab es Rote Rüben, selbstgemachten Pusztasalat, das ist ein Krautsalat mit Paprika und Paradeisern, einen sogenannten Umurkensalat (kleiner Exkurs ins burgenländische Vokabular: Umurken sind Gurken, Murken die Karotten) und ich erinnere mich an Speck und Grammeln.

In der Kredenz standen dutzende Gläser voller Kirschen, Marillen, Weingartenpfirsiche, Zwetschken und mit „lekvár“, der Marillenmarmelade, die ungarische Bezeichnung ist uns bis heute geläufig. Meine absolute Lieblingsgermspeise hat alle Kinder in der Familie entzückt, die „bochanen Meis’“. Gebackene Mäuse sind mit Faschingskrapfen verwandt, nur werden sie ohne Füllung gemacht und der Teig ist auch fester. Hineinzubeißen war ein sinnliches Vergnügen, die Konsistenz flaumig und fest zugleich, der Geschmack süß, aber auch ganz leicht salzig, wie es sich für ein Schmalzgebäck gehört.

Oft habe ich sie gefragt: „Oma, wie machst du den Teig?“ – „Iwahaps“, hat sie gesagt. Das bedeutet überhaps, ungefähr, und das hat durchaus Berechtigung, denn so ein Teig hat ein Eigenleben, überhaupt wenn es sich um einen Germteig handelt. Da kommt es darauf an, wie warm es ist, ob es lange geregnet hat und die Luft noch feucht ist, vielleicht sogar auf die Gemütslage der Köchin. Wenn es für eine Speise irgendwelche Notizen gegeben hat, dann auf den Kassenzetteln aus der Fleischhauerei, halb in Latein- und halb in Kurrentschrift geschrieben. An ein Kochbuch kann ich mich nicht erinnern. Was mir von alledem geblieben ist? Leider kein einziges Rezept, Stichwort „iwahaps“. Dafür prägen mich die Liebe zu gutem Essen und mein Faible für Wein sowie der Respekt im Umgang mit Lebensmitteln.

Autorin: Nicole Aigner

Das Bild ist ganz von dunklem Blau dominiert: Zwei Farbkübel, aus einem ragt ein hölzener Stiel, beide sind mit Tüchern bedeckt und zugebunden. Die Stoffe tragen weiße, feine Muster auf intensivem blauen Grund. Der Boden und die Wand sind von blauen Farbs
Blaudruck, Foto: Inge Prader

[Auszug Mittelburgenland – Steinberg-Dörfl]

Vor gar nicht allzu langer Zeit gab es kein burgenländisches Bauernhaus, in dem nicht eine blaue Schürze, ein blaues Kopf- oder Tischtuch zu finden war. Zuerst wird der sogenannte „Papp“ im gewünschten Muster aufgebracht – dort, wo er kleben bleibt, bleibt der Stoff weiß. Danach wird der Stoff auf Rahmen gespannt und mehrmals in die Färbeflüssigkeit, die Küpe, getaucht. Zunächst ist er danach gelb-braun, erst beim Trocknen an der Luft und in der Sonne verfärbt er sich blau. Die Familie Koó in Steinberg-Dörfl sind die letzten Blaudrucker im Burgenland. Werkstatt und Verkauf nach telefonischer Vereinbarung geöffnet. www.originalblaudruck.at

Ein Weinbauer in Nahaufnahme beim Ernten von reifen, dunkelblauen Reben. Die einfallende Sonne bringt die gelb-grünen Blätter am knorrigen Weinstock zum Leuchten.
Hansi Wolf, Uhudler Heiligenbrunn. Foto: Inge Prader

[Auszug Südburgenland]

Meine Liebe beginnt beim Geruch. Bei dieser unglaublich frisch-fruchtigen Note. Bei dem Geschmack nach Walderdbeeren, nach Himbeeren, Johannisbeeren, Ribiseln. Wie ein Beeren-Fruchtsalat, leicht sauer im Nachgeschmack, aber nicht unangenehm, sondern etwas herb, um alles abzurunden. Ein köstliches Dessert, nach dem man sich auf einer Bank auf einer Wiese zurücklehnt und einfach ein bisschen in die Gegend schaut. „Keine Termine und leicht einen sitzen“, wie Harald Juhnkes Definition von Glück lautete, und zutreffender wird es nicht mehr.

Wenn ich Uhudler trinke – und ich bevorzuge die spritzige Frizzante-Variante –, dann bin ich in dem Moment auf einer sonnenbeschienenen Wiese, vor mir Weinberge, sanfte Hügel, vereinzelt Kellerstöckel und Obstbäume, in der Luft nur ein bisschen Insektengebrumme und weit weg eine Motorsäge beim Baumschlagen im Wald. Gemeinhin hält man das Burgenland für flach und das trifft auf den Norden auch sicherlich zu, auf den Süden aber gar nicht. Hier ist es sogar ziemlich hügelig und von manchen Erderhebungen sieht man bis weit nach Ungarn hinein.

Ich komme aus einem der fünf Ortsteile der Gemeinde Heiligenbrunn, dem Ursprungsanbaugebiet des Uhudlers. Den gibt es dort überall, zum Essen, gespritzt mit Wasser zum Erfrischen bei der Feldarbeit, in edler Frizzante-Variante zum Schulabschluss oder als Aperitif zur Hochzeit. Es gibt nur einen Haken, und das ist ein ungeschriebenes Gesetz: Zwei Gläser sind genug. Das sei jedem gesagt, denn ein Uhudler-Rausch ist das Schlimmste. Zu viel Uhudler mache blind, heißt es, und da ist es Glück im Unglück, dass es in Heiligenbrunn auch gleich die passende Heilquelle gibt. Das Wasser der Ulrichsquelle soll verschiedene Heilwirkungen haben, unter anderem gesundet es Augenleiden. So geht die Sage. Man trinkt viel, sehr viel Uhudler in der Buschenschank, droht zu erblinden, geht zur Quelle, trinkt Heilwasser, ist wieder bei klarem Auge und kann gestärkt zurück zum Uhudler. Zum Wohl!

Autorin: Saskia Jungnikl

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zuletzt geändert am 24.11.2023

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