Mann steht vor bemalter Wand.
Jeff Shepard führt gerne deutschsprachige Gäste durch Chicago. Foto: Anita Arneitz

Nice to greet you! Perspektivenwechsel im Urlaub

Stadtspaziergang mit den Augen der Einheimischen. Die Greeters heißen Neulinge willkommen und teilen Lieblingsplätze sowie Lebensgeschichten mit ihnen.

Versteckte Dinge in der Stadtmitte oder lieber eine interessante Nachbarschaft? Keine leichte Entscheidung für jemanden, der bei seiner Reise etwas Besonderes erleben und sehen möchte. Beides wäre reizvoll. Doch letztendlich fällt die Wahl auf die Nachbarschaft. Denn die Stadtmitte ist als Tourist sowieso gut erschlossen und leicht zu erkunden. Aber alles, was außerhalb der bekannten Sehenswürdigkeiten liegt, dort wagen sich nur wenige Besucher alleine hin. Nicht weil es gefährlich, sondern schlichtweg unbekannt ist. Und deshalb ist es schön, jemanden an seiner Seite zu haben, der sich auskennt. Den man alles fragen kann. Der hier lebt, und verrät wie es Ansässige machen. So jemand ist zum Beispiel ein Greeter.

Greeter sind Einheimische, die freiwillig und ehrenamtlich Spaziergänge mit Gästen machen. Keine Stadtführung im professionellen Sinn, auch keine Thementour. Es ist vielmehr ein „Herzlich willkommen und schön, dass ihr hier seid“ für Individualreisende. „Schaut euch das unbedingt noch an. Und wie ist das bei euch so?“ Schon nach der Begrüßung und den ersten Minuten der Lagebesprechung fühlt es sich vertraut an. Es ist ein Ankommen an einem Ort, der einem vorher völlig fremd war. Zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Greeters rund um die Welt

Zwei Männr stehen vor Arkaden.
Karl Winkler (links) führt an besondere Plätze in Wien und hat schon mehr als 100 Spaziergänge gemacht. Er liebt den Austausch mit den Gästen. Foto: privat

Die Idee zu den Greetern hatte Lynn Brooks aus New York, die bereits verstorben ist. Sie liebte ihre Stadt und wollte, dass auch andere Menschen verstehen, was diese so liebenswert macht. Also startete sie 1992 damit, die verborgenen Liebreize der Stadt zu zeigen. Seit dem ist daraus eine internationale Organisation geworden mit über 3.500 Greeter weltweit in 38 Ländern. Die meisten sind bezogen auf eine Stadt, wie zum Beispiel Wien, aber es gibt auch Greeter für Regionen wie die Oststeiermark. Sie sehen sich nicht als Konkurrenz zu Stadtführern oder touristischen Angeboten, sondern als Ergänzung mit Schwerpunkt auf den kulturellen Austausch. Karl Winkler ist Greeter in Wien und hat schon mehr als 100 Spaziergänge gemacht. Ein Greeter wurde er, weil er gerne Kontakt mit Gästen, denen er nicht nur einen speziellen Teil Wiens – eine seiner Lieblingstouren führt in den 13. Bezirk – zeigen kann, sondern von denen er auch Interessantes aus deren Herkunftsländern erfährt.

Ähnlich geht es Jeff Shepard aus Chicago. Aber bei ihm kommt noch die sprachliche Komponente hinzu. Da er selbst in jungen Jahren Deutsch gelernt hat, freut er sich besonders, wenn er während des Spazierganges von deutschsprachigen Gästen etwas lernen kann. Im Gegenzug dazu verrät er dann gerne seine Lieblingslokale. Werdegang, Familie, Erlebnisse, private Meinungen. Nach ein paar Stunden hat man sich gegenseitig ein Stück kennengelernt und nebenbei einen bunten Stadtteil entdeckt, der bei einem Rundgang alleine bei Weitem nicht so spannend gewesen wäre. Niemals hätte man alleine einen Blick um die Hausecke geworfen und in der Seitengasse das farbenfrohe Fassadenbild entdeckt oder wäre ins Bistro gegangen, in dem es das beste mexikanische Essen der Stadt gibt. Scheinbare Kleinigkeiten im Reisealltag, die bleibenden Eindrücke hinterlassen als so mancher überlaufener Instagram-Selfie-Hotspot.

Botschafter der Region

Drei Frauen stehen am Bahnhof und winken.
Barbara Stumpf (Mitte) und Helga Bauer sind Greeters in der Oststeiermark. Foto: privat.

Barbara Stumpf und Helga Bauer finden es toll, auch selbst mit einem Greeter deren Stadt kennen zu lernen, sich auszutauschen oder zusammenzuarbeiten. „Ein besonders Merkmal an einem Greeter-Erlebnis ist auch die überraschende Entdeckung von bestimmten Ereignissen durch die persönliche Sicht des Greeters, die man selbst bisher mit anderen Augen gesehen hat. So entstehen auch Abenteuer in einer vermeintlich bekannten Umgebung“, erzählen die beiden. Sich selbst sehen sie als Botschafterinnen der Region. Denn sie sind eine der Greeters in der Oststeiermark und zeigen ihren Gästen zum Beispiel den bestsortiertesten Bauernladen am Hauptplatz von Pöllau oder echte Buschenschank-Geheimtipps in den Weinbergen.

Mit dem Greeter-Netzwerk sei ein neuer Ansatz für Touristen gefunden. Gerade an Orten, die unter Overtourism leiden, ist das Greeter-Service ein guter alternativer Ansatz. Allerdings nicht für die Masse. Viel mehr für bewusst nachhaltig Reisende. „Es werden touristische Trends aufgegriffen und es entstehen neue Rahmenerzählungen von einer Region mit seltsamen Orten oder persönlichen Sehnsuchtsorten, die man in einem normalen Reiseführer in dieser Form nicht findet. Reisen bekommt hier einen speziellen Kuriositätsfaktor mit überraschenden und prägenden Begegnungen“, sagt Stumpf. Das entspreche einem Zeitgeist, bei dem es um das Gemeinsame und das miteinander teilen gehe. „Man lernt die unterschiedlichsten Menschen kennen. Das ist sehr spannend. Außerdem ist es schön, wenn man die Besonderheiten seiner Heimat herzeigen kann“, sagen die Steirerinnen. Und manchmal entstehen dabei sogar Freundschaften fürs Leben.

9 Tipps für unterwegs - so klappt das Erlebnis mit den Greetern

  1. Rechtzeitig vor dem Besuch über die Webseite melden –am besten bereits ein paar Wochen vorher. Denn es braucht ein wenig Zeit, bis die regionale Organisation einen passenden Greeter aussucht und mit ihm die Termine koordiniert.
  2. Wer vorab schon grob seine Interessen – Architektur, Kulinarik oder Shopping – bekannt gibt, trifft auf gleichgesinnte Greeter. Ein Thema verbindet.
  3. Vorab Erwartungen klar abstecken.
  4. Meistens gibt es kurz vor dem Treffen einen E-Mail-Verkehr, in dem alle Details wie Uhrzeit und Ort geklärt bzw. bestätigt werden.
  5. In der Regel nehmen sich die Greeter zwischen zwei bis drei Stunden Zeit für den Spaziergang. Das ist ein kostenloses Service, es wird kein Trinkgeld gegeben.
  6. Ein Greeter kann alleine mit jemanden durch die Stadt streifen oder in einer kleinen Gruppe bis zu sechs Personen. Mehr sollten es aber nicht sein!
  7. Nicht nur den Greeter erzählen lassen, sondern auch sich selbst ins Gespräch einbringen. Es geht um den gegenseitigen Austausch und das Kennenlernen. Nebenbei werden die Orte entdeckt.
  8. Über ein Erinnerungsfoto freut sich jeder Greeter. Nicht vergessen, dieses nach der Tour per E-Mail oder Nachricht zu senden.
  9. Greeter freuen sich, wenn nach dem Spaziergang noch ein kleines Danke per Textnachricht kommt oder man in Kontakt bleibt.

Autorin: Anita Arneitz
 

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zuletzt geändert am 03.04.2020

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