Ein Reh am Waldesrand.
Foto: Scott Carroll, Unsplash

Die Zeit der Jägetarier

Jürgen Schmücking auf den Spuren der Wiltiere und Jäger*Innen.

„Wild ist das bessere Bio“, ist ein Spruch, der oft zu hören ist. Im Spätherbst öfter als sonst. Dahinter liegt eine Sehnsucht. Oder die romantische Vorstellung, dass Wild „wild“ ist. Zum Teil stimmt das auch. Tiertransporte, Vollspaltenböden und Stress im Schlachthof kennen Gams und Hirsch nicht. Trotzdem ist es sinnvoll, genau hinzuschauen. Nicht alles, was aus dem Wald kommt, ist gut. Oder gar nachhaltig. Ein paar Gedanken und Tipps, um beim Wildbret den Überblick zu bewahren.

Is(s)t Wild bio?

Beginnen wir mit der Bio-Frage. Das mit Wild und Bio ist nicht so einfach. Wobei, stimmt nicht, eigentlich ist es sehr einfach. Der Grundwiderspruch liegt schon im Wort begraben: Wild ist wild beziehungsweise sollte es sein. Bio steht dagegen für strenge Kontrolle, und genau das geht sich beim Wild nicht aus. Sobald hundertprozentige Kontrolle darüber gefordert ist (und das ist sie im Bereich der Biozertifizierung), was Reh und Co. futtern, müssen sie eingesperrt und gefüttert werden. Freilebendes Wild hat auch die Freiheit zu fressen, wonach ihm der Sinn steht, und tut das in der Regel auch. Das Rotwild frisst sich im frisch gespritzten Rapsacker satt, die Wildschweine im konventionellen Genmaisfeld.

Hält man Rot- oder Damwild in großen Gehegen und versorgt es mit Futtermitteln aus kontrolliert biologischer Landwirtschaft, kann Wild auch bio sein. Regeln für Geweihträger und Mastkaninchen werden übrigens in die neue EU-Bio-Verordnung aufgenommen. Auf diesem Gebiet ist im Moment einiges in Bewegung.

Die Familie Watzenböck im oberösterreichischen Prambachkirchen bietet sei zehn Jahren ganzjährig Dam- und Sikawild an. Die Tiere stehen auf fünf Koppeln, die auf fünf Hektar Fläche verteilt sind. Vermarktet wird ab Hof und man bekommt nicht nur Schlögel, Schulter und Ragout, sondern auch Beuschel und Leber. Auf Wunsch auch ganze (oder halbe) Hirsche. Grobzerlegt und vakuumiert.

Eine Herde Wild auf einer Koppel.
Foto: Familie Watzenböck

Einer der wesentlichen Unterschiede (und Vorteile) von Wild ist, dass den Tieren die Schlachthöfe erspart bleiben. Das ist aus Gründen des Tierschutzes von Bedeutung, aber auch aus Qualitätsgründen. Der Stress, den Tiere (oft) beim Schlachten erleiden, wirkt sich klarerweise auch auf die Fleischqualität aus. Im Idealfall fällt dieser Stress bei der Jagd komplett weg. Dazu gibt es allerdings zwei Ausnahmen. Erstens: Wenn der Schuss nicht sitzt, das Tier verletzt und eine lange Nachsuche erforderlich ist. Und zweitens: Treibjagden, bei denen Tiere von Hunden aufgescheucht und flüchtend erlegt werden. Kulinarisch gesehen ist dieses Fleisch eine Katastrophe.

Für wilde Gaumenfreuden bieten sich verschiedene Zugänge an. Einiges kommt – pandemieoptimiert – in Gläsern und Dosen. Für den frischen Kick lohnt es, eine gute Beziehung zur örtlichen Jägerschaft aufzubauen. Wem das nicht gelingt, besucht einfach das Wirtshaus seines Vertrauens. Hier ein paar Tipps zu diesen Zugängen.

Wild in Glas und Dose

Auf einem Tisch ein Jausenbrett mit Brot, Pastete und Gurkerl. Davor die Schachtel und Dose des Corned Deer.
Foto: Hink

Corned Beef ist ein traditioneller Schiffsproviant aus Rindfleisch, der durch Pökeln und langes Kochen haltbar gemacht wird. Corned Deer aus Hirschfleisch und Corned Boar aus Wildschweinfleisch sind Spielarten, die die Lebensmittelmanufaktur Hink über die letzten Monate neu entwickelt und kürzlich (allerdings in kleiner Auflage) auf den Markt gebracht hat. Für die neuen Corned-Varianten vom Waldviertler Hirschen und Wildschwein wird das jeweilige Schulterstück kernig gekocht und dann faschiert. Bevor das Brat zum Gelieren in die Dose kommt, wird es je nach Sorte mit Gin oder Portwein, Preiselbeeren, Orangen, Senf, verschiedenen Pfefferarten und ausgewählten Gewürzen verfeinert. Ideal für die Vorratskammer, als Mitbringsel oder für einen ordentlichen Reuben Sandwich.

Zwei Jägerinnen im Lodenmantel, Stiefeln und Hut. Eine sitzt auf einem Sessel, die andere blickt mit einem Fernrohr in die Kamera. Rundherum Herbstwald.
Ulrike Zöchbauer (links) und Elke Zellinger (rechts). Foto: Michael Rathmayer

In den niederösterreichischen Wäldern sind zwei Wahl-Wienerinnen unterwegs und jagen Feldhasen, Fasane, Rehe, Hirsche und Wildschweine. Elke Zellinger und Ulrike Zöchbauer. Das ganze Jahr pflegen sie den Wald und hegen das Revier. Danach stellen sie das Gewehr in den Schrank, binden sich die Kochschürze um und produzieren (unter anderem) zwei sensationell gute Pasteten aus Fleisch vom Feldhasen und biozertifizierten Zutaten. Ihr Unternehmen heißt „Wildkulinarik Zellinger & Zöchbauer“ und arbeitet ohne Pökelsalz und Geschmacksverstärker. Damit sind Hase, Fasan & Co. zurück an der Tafel und sorgen für große kulinarische Momente. Sie nennen das die Vermehrung der „Genussfreude“. Bei den beiden Jägerinnen kann auch direkt frisches Wild bezogen werden.

Die vier Gläser der Wildpasteten vor weißem Hintergrund.
Foto: Michael Rathmayer

Frei von der Leber

Hirschragout und Rehrücken sind zweifelsohne feine Gerichte. Wer aber Zugang zu Innereien vom Wild hat, sollte diesen Schatz nutzen. Oft bleiben nach dem Aufbrechen diese Köstlichkeiten im Wald. Das ist einerseits eine gute Sache, weil damit auch Adler, Fuchs und anderes Raubzeug was davon haben. Andererseits sind es aus kulinarischer Sicht oft die besten Stücke, die da der Natur überlassen werden. Die Leber ist nur die Spitze des Eisbergs. Rudi Obauer, Spitzenkoch und leidenschaftlicher Waldläufer, hat in seinem letzten Buch über die Jagd „Der Jaga, der Koch“ ein paar extrem spannende Rezepte aus Wildinnereien gesammelt. Hirschkalbskutteln mit Steinpilzen zum Beispiel. Oder Beuschel vom Reh. Oder Zunge vom selben. Der Kreativität sind da nicht wirklich Grenzen gesetzt. Es muss nur die Frage der Verfügbarkeit und Herkunft gelöst werden. Sonst gilt das Gleiche, wie beim Fleisch anderer Nutztiere. Wer über Nachhaltigkeit und Respekt spricht, sollte auch dem Thema „Nose to Tail“ offen gegenüberstehen. In der Küche ist das keine große Kunst. Liegt eine frische Leber (ob vom Hirsch, der Gams oder vom Reh) auf dem Brett, muss sie zuerst einmal geputzt und von der Haut befreit werden. Am besten dann in kleine Stücke (halbe Gulaschbröckerl) schneiden, in guter Butter und mit Zwiebel, Salz, getrocknetem Rosmarin, Thymian und Wacholder anrösten. Mit Blutwurzgeist, Enzian oder Wacholderschnaps ablöschen, ein paar eingelegte Vogelbeeren dazu – Bang! Dauert keine Viertelstunde und hinterlässt einen Eindruck bei Gästen, der im Idealfall jahrzehntelang anhält.

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zuletzt geändert am 14.12.2021

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