Montenegro echt erleben
Da geht echt noch mehr! Nach einem klassischen Badeurlaub in Petrovac packte uns die Lust, Montenegro wirklich kennenzulernen. Angelika Temper-Jablan hat eine phantastische Tour zusammengestellt.
Angelika stammt aus Amstetten, erfahren wir gleich nach unserer Ankunft bei den „Niagara-Fällen“. Nein, nicht in Kanada, sondern einige Autominuten außerhalb der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica. Dort donnert die Cijevna etwa zehn Meter über die Kante einer ehemaligen Staumauer in die Tiefe. Wenn schon Wasserfall, dann darf’s auch ein klingender Name sein!
Nach Montenegro hat es die Landschaftsplanerin durch ein Projekt der Österreichischen Entwicklungsagentur (ADA) verschlagen. Der Tourismus sollte durch den Ausbau von Wanderwegen gefördert werden. Und weil die schönsten Wanderwege nichts nutzen, wenn es keine Angebote für Touristen gibt, ist sie hier geblieben. Oder vielleicht doch, weil ein gewisser Borislav ihr Leben etwas durcheinander gebracht hat? Heute sind die beiden verheiratet und führen die Reiseagentur 3etravel.
Pavle, ihr Schwiegervater, besitzt im Dorf Rvasi ein kleines Anwesen, Angelika und Borislav haben in dem alten Bauernhaus eine geräumige Ferienwohnung eingerichtet. Nach dem obligatorischen Begrüßungsdrink – selbstgemachter Honigschnaps – führt Pavle durch sein Reich. Anfang der 1990er Jahre wurde der Maschinenbauingenieur infolge der Sanktionen gegen Serbien arbeitslos. Mit den sechs Hektar Land und dem Anbau von Tabak rettete er sich über diese schwierige Phase. Sein ganzer Stolz ist der uralte Weingarten mit 40 verschiedenen Sorten. Der Wein ist naturbelassen, ganz ohne Chemie. Ja, und dann sind da noch die 20 Bienenstöcke – die helfen, den Begrüßungsdrink herzustellen.
Mit dem Fischerboot auf dem Skadar-See
Karuc ist ein winziges Fischerdorf am Skadar-See. Die Straße von Rvasi hierher ist manches Mal nicht viel breiter als ein Radweg. Angelika verabschiedet sich und drückt uns noch ein Mobiltelefon mit einer eingespeicherten Nummer eines Vlado in die Hand – „falls ihr unterwegs irgendwo verloren geht“.
Unten am See wartet bereits Slobo bei seinem Boot, einer kleinen Zille mit Außenbordmotor. Auf den schmalen Wasserwegen zwischen den Seerosen ist er damit besonders wendig unterwegs, die üppige Pflanzenwelt des Nationalparks ist zum Greifen nahe.
Slobo ist Fischer und betreibt gemeinsam mit seiner Frau auch ein kleines Restaurant. Bei köstlichem Fisch mit Blick auf den See klingt ein erster langer Urlaubstag genüsslich aus. Die Wirtsleute beginnen schön langsam, den Laden dicht zu machen. Ups! Wie kommen wir jetzt zurück ins Quartier und wo ist das überhaupt? Vlado! Nicht nötig. Slobo deutet, dass wir einfach sitzen bleiben sollen, bis sie fertig sind. Dann bringen sie uns zurück nach Rvasi. Wir sind jetzt gerade einmal zehn Stunden in Montenegro und schon tiefer in dieses Land eingetaucht, als beim ganzen Urlaub letzten Sommer.
Mit dem Zug nach Kolasin
Am Bahnhof von Podgorica spielt sich eine Katze mit einer Maus. Diese versucht immer wieder vergeblich, sich unter den Geleisen zu verstecken. Vielleicht retten sie ja die Züge, die gerade einfahren. Sie kommen gleichzeitig, denn die Strecke ist eingleisig und nur hier können sie aneinander vorbei. Willkommen am Hauptbahnhof der Hauptstadt von Montenegro.
Die Fahrt nach Kolasin dauert etwas länger als eine Stunde. Der Zug tuckert einen Berghang hinauf, der Abhang auf der linken Seite wird immer tiefer, dann mehrere Tunnels und plötzlich ein Bahnhof auf einem Hochplateau. Die Rezeption im Hotel Brile ist winzig, aber stilvoll eingerichtet, Kunstwerke hängen an den Wänden. „Das ist alles von meinem Sohn. Er studiert Kunst!“ erzählt Hotelchefin Erminia Giannini, von vielen liebevoll Mimi genannt, stolz. Auch sie hat die Liebe nach Montenegro geführt und die hervorragende italienische Küche hat sie gleich mitgebracht.
Kolasin ist ein zentraler Wintersportort oder will es zumindest werden. Einige Hotelburgen sind bereits aus dem Boden gewachsen, dazwischen verlassene, zum Teil kaputte Häuser, in den Gärten wuchert das Gras. Eine Flaniermeile mit vielen Lokalen im Stadtzentrum verspricht allerdings einen netten Abend. Aber was tun bis dahin?
Etwas außerhalb der Stadt soll es einen botanischen Garten geben. Die Sehenswürdigkeit von Kolasin entpuppt sich als Einfamilienhaus mit Garten rundherum. Daniel Vincek, mittlerweile 95 Jahre alt, hat den Garten vor mehr als 40 Jahren angelegt und dabei viele Jahre mit der Universität Graz zusammengearbeitet. Daher spricht er auch perfekt Deutsch. Rund 350 Arten sind hier auf wenigen Quadratmetern versammelt, viele davon endemisch, das heißt es gibt sie nur in Montenegro. Professor Vincek kennt sie alle und weiß viele Geschichten über sie zu erzählen. Und er lässt es sich auch nicht nehmen, die Besucher*innen auf einen Kräuterschnaps einzuladen.
Zu Fuß auf die Goles-Alm
Mimis Frühstück muss für den Tag stärken, denn heute geht es in die Berge. Sladja, die für den Nationalpark Biogradska Gora arbeitet, bringt uns mit einem robusten Geländewagen hoch zur Vranjak-Alm auf 1.800 Meter Seehöhe. Von dort geht es auf rot-weiß-rot markierten Wanderwegen hinüber zur Goles-Alm. Drei Stunden dauert die Wanderung durch den Nationalpark, mitten durch üppig blühende Wiesen und mit einer prächtigen Naturkulisse als Panorama.
Hundegebell begrüßt die Wanderer auf der Goles Alm. Etwa 25 kleinere, mittlere, größere, zum Teil verfallene Hütten verteilen sich hier auf ein paar Hektar Fläche. Dazwischen ein rostiger Lastwagen und ziemlich viel Müll. Der erste Eindruck ist nicht gerade einladend. Slobodanka betreibt hier eine kleine Landwirtschaft mit Kühen und Schafen und eine Art „Urlaub am Bauernhof“ für Gäste: Fünf winzig kleine Hütten sind es, in denen jeweils gerade einmal zwei Betten Platz haben. Nicht viel größer als ein Zelt, nur stabiler und wasserfest – was sich als sehr vorteilhaft erweisen sollte. Dusche und WC sind in einer Sanitärhütte etwa 30 Meter über den Hof, dort ist an der Außenwand auch ein Waschbecken montiert. Fast wie früher am Campingplatz.
Es beginnt zu regnen. Ein Nachbar treibt seine Schafe in ein umzäuntes Gehege, zwei Pferde toben ausgelassen über das Gelände. Blökende Schafe und hin und wieder ein bellender Hund bilden die Musik für eine tiefe Entspannung, bis Slobodanka zum Abendessen in ihr Haus bittet. Suppe, Lammfleisch mit Reis, Sopska-Salat, selbstgebackenes Brot und danach noch ein Kuchen. So was von gut zubereitet, da können die besten Restaurants nicht mithalten.
In der Nacht zieht ein heftiges Gewitter über die Berge, Hagelkörner prasseln auf das Dach der Schlafhütte. Am Morgen wecken uns die Schafe, die sich – wahrscheinlich aus Neugier – genau vor unserem Fenster versammelt haben. Schinkenspeck, Käse, Ei, Butter, Joghurt, Pita, Brot, gebackene Mäuse, eine Art Baklava, Chai und Kaffee - ein Frühstück in der Morgensonne. Fünf Hauben für Slobodanka.
Der Abstieg hinunter zum Biogradsko See führt durch einen der letzten Urwälder Montenegros. Die Feuchte der Nacht steigt durch das üppige Grün aus Flechten, Farnen und Moosen hoch zu den Wipfeln der bis zu 500 Jahre alten Baumriesen. Unten beim See überlegen wir kurz, uns auszuziehen und ins klare Wasser zu springen. Wir sind ja hier eh alleine. Zum Glück verwerfen wir den FKK-Plan, denn keine fünf Minuten später kommt eine japanische Reisegruppe vorbei. Wir sind zurück in der Zivilisation und das hier ist der Rundweg um den See.
Der Durmitor ist der nächste Nationalpark auf der Reise durch Montenegro. Die Route führt entlang der Tara-Schlucht, dem tiefsten Canyon Europas und - nach dem Grand Canyon - dem zweittiefsten weltweit. Nach einigen Tagen der Abgeschiedenheit verstört das touristische Treiben: Raftingagenturen, die um Kunden werben, Autoanhänger voll beladen mit Kanus und Schlauchbooten, Leute, die sich anstellen, um mit dem Flying-Fox über die Schlucht zu schweben. Der Durmitor will anscheinend ein anderes Mal entdeckt werden, dann wenn uns wieder nach mehr Action ist.
Mit dem Bus hinunter zum Meer
Ein Tag am Meer muss noch sein. Ulcinj ist der südlichste Badeort an der montenegrinischen Adriaküste. Obwohl erst Mitte Juni ist schon einiges los hier, aber noch lange nicht so viel wie in den Sommermonaten. Auf der Suche nach einem ruhigen Plätzchen folgen wir dem Weg entlang der Küste Richtung Süden bis zu einer „Fischhütte mit eigenem Strand“. Der „Strand“, das ist ein abgestuftes Felsplateau mit fünf Liegeplätzen, jeweils zwei Liegen und ein Sonnenschirm. Eine Steintreppe führt hinunter zum glasklaren Wasser.
Die Anlage gehört Vojo Knežević. Seine Großeltern hatten hier einen Weingarten, Vojo wollte aber etwas anderes machen. Im Winter handelt er mit Kleidung aus Italien, von Mai bis Mitte September betreibt er hier die kleine Konoba, in der er das zubereitet, was er am Morgen aus dem Meer gefischt hat. Heute ist es ein köstlicher Branzino, ein Wolfsbarsch, und dazu eine Gemüseplatte. Wir sitzen noch lange zusammen und plaudern bei einigen Gläschen Traubenschnaps. Da wir heute die einzigen Gäste sind, hat Vojo alle Zeit der Welt, den Nachmittag mit uns zu genießen und wir mit ihm.
Autor*innen: Roswitha Reisinger, Christian Brandstätter
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zuletzt geändert am 24.03.2022