Lesewagen fährt durch den Weingarten.
Bei Renate und Wolfgang Meißner können Sie sich durch die österreichische Weinvielfalt kosten. Der Buschenschank ist einen Ausflug wert. Foto: Meißner

Unterwegs im Norden der Stadt

Genau genommen muss es heißen „nördlich der Stadt“. Der „Norden der Stadt“ liegt – wie der Name schon sagt – innerhalb ihrer Grenzen. Wir bewegen uns für diesen Rundblick aber darüber hinaus. Nicht weit, aber doch. Klosterneuburg, Langenlebarn und – ja, genau – auch in den Norden der Stadt. Es sind nämlich lohnende Ziele. Kulinarisch ebenso, wie erholungsmäßig.

Buschenschank mit Sortenvielfalt

Auf den ersten Blick haben Tiflis und Klosterneuburg nichts Gemeinsames. Klosterneuburg ist betulich und überschaubar. In Tiflis pulsiert das Leben. Klosterneuburg ist ein Zentrum gesetzten Bürgertums. In Tiflis treffen alle Schichten aufeinander und leben – mehr oder weniger – friedlich nebeneinander. Zwei Dinge haben sie aber gemeinsam. Erstens spielt der Wein in ihrer Geschichte eine tragende Rolle und zweitens haben sie ihre Gründung einem verwehten Schleier zu verdanken. Zwei Adelige, beide auf der Jagd. Einer im Kaukasus, der andere im Wienerwald. Beide jagen einem vom Wind verwehten Schleier nach und errichten dort, wo sie ihn finden, ein Gebäude. Das Stift Klosterneuburg und die Stadt Tiflis. So jedenfalls sagen es die Gründungsmythen der beiden Orte. Viel wichtiger scheint allerdings der Wein zu sein. Um in Klosterneuburg (und seiner Umgebung) an ordentlichen Biowein zu kommen, muss man nur nach folgendem Namen suchen: Meißner. Einmal gefunden, können Sie sich durch die österreichische Sortenvielfalt kosten. Und weil die Meißners auch die frühreifen Sorten wie Bouvier, Frühroten Veltliner und Blauen Portugieser haben, gehören sie auch zu den ersten, die während der spätsommerlichen Sturmtage mit den ersten Boten des aktuellen Jahrgangs aufwarten können. Außerdem ist der Buschenschank ein Segen und unbedingt einen Ausflug wert.
Biowein Meißner, Säulenweg 6, 3400 Weidling, www.biowein-meissner.at

Herwig Pecoraro mit Essigfässern.
Herwig Pecoraro, grandioser Tenor und begeisterter Balsamico-Hersteller, hat die Kunst des Essigmachens während seiner Gesangsausbildung in Modena gelernt. Foto: Pecoraro.

Der singende Essigbrauer

Das ist Klosterneuburg – aus kulinarischer Sicht – sowieso. Grund dafür ist auch der singende Essigbrauer. Herwig Pecoraro. Wobei beides, „singend“ und „Essig“ nicht wirklich den Kern der Sache trifft. Herwig Pecoraro „singt“ nicht einfach nur, er ist Opernsänger. Tenor, um genau zu sein. Ausgebildet hat ihn Arrigo Pola in Modena, der auch Luciano Pavarotti unter seinen Fittichen hatte. Und nachdem so eine Gesangsausbildung kein günstiges Unterfangen ist, verdiente er sich bei den Balsamico-Produzenten in Modena sein Ausbildungsgeld und lernte ganz nebenbei auch noch das ‚Aceto Balsamico‘-Business. Quasi von der Pieke auf. Wir profitieren davon jetzt gleich zweifach. Einerseits, weil Pecoraro mittlerweile an der Staatsoper singt (und dort einen grandiosen Bardolfo im Verdi’s Falstaff gab). Seine Balsamicos sind wahre Zierden ihrer Art. Unterschiedlich lange, zwischen 6 und 15 Jahre gereift. Gerade der 15jährige wird seinem Namen, „schwarzes Gold“ der Emilia Romagna mehr als gerecht. Ein Elixier, kondensierte Essenz dessen, was eine Frucht hergibt. Der Aceto darf dabei in einer unglaublichen Vielfalt an Hölzern und Fassgrößen lagern. Wie ein Komponist jongliert Pecoraro mit Fässern aus Akazie, Maulbeere, Esche oder Wacholder. Was dabei herauskommt, ist Geschmack pur. Hat aber auch seinen Preis. Wer nicht ganz so viel ausgeben möchte – 200 Mililiter des Elixiers kosten stattliche 150 Euro – kann auch gern den 6jährigen Apfelbalsamico kaufen. Der kostet ein Fünftel und schmeckt ebenfalls großartig. Wenn man sich anmeldet (früh genug ist die Devise), kann man Herwig Pecoraro auch über die Schulter schauen. Die Führungen durch seine Acetaia sind immer ein besonderes Erlebnis.
Acetaia Pecoraro, Eisenhütte 32, 3400 Klosterneuburg, www.balsamico.at

Josef floh sitzt im Garten
Der Floh ist ein längst über die Grenzen des Landes hinaus bekannter Koch, der auf Regionalität und Bio setzt. Foto: Christian Benesch/Jürgen Skarwan

Radius 66-Küche

Nur ein paar Kilometer weiter liegt Langenlebarn. Mit dem Rad ist es ein kleiner Ausflug, mit dem Auto ein „Hupfer“. Es zahlt sich aber aus. Der Floh ist ein längst über die Grenzen des Landes hinaus bekannter Koch. Einer, der sich ohne Wenn und Aber der Regionalität und der biologischen Landwirtschaft verschrieben hat. Wobei „regional“ bei ihm schon eine recht bedeutsame Rolle einnimmt. Der Umkreis, aus dem der Floh seine Waren bezieht, ist ein sehr enger (Stichwort Radius 66). Dass er aber auch bio nicht verachtet, lässt sich daraus ablesen, dass er Mitglied bei den BioWirtInnen ist. Einer Gemeinschaft gleich denkender und handelnder Gastronomen, mit dem Ziel, bio in der Gastronomie zu etablieren und zu fördern. In seiner Karte liest sich das etwa so: Ceviche. Roh marinierter Bio-Saibling vom Daniel Braunsteiner (persönliche Beziehungen sind ihm unglaublich wichtig, dem Floh), ganz langsam über 2 Jahre im kalten Wasser herangewachsen. Mit Koriander, Gurkenvielfalt vom Sommer 2019 (jaja, die Saison!!), Rosso di Firenze und Mönchsbart (Wildkräuter!!!). Die Fischsuppe köchelt über Nacht ihrer Vollendung entgegen (Ach ja, Slow Food ist natürlich auch ein Thema beim Floh) und beim Fleisch gibt es (auch) Flank Steak (dieser herrliche und kaum mehr zu bekommende Muskel, der das Zwerchfell in Zaum hält oder Zunge. Lauwarm und mit Kernöl und Kren mariniert. Eine Hommage an die Steiermark. Außerdem hat der Floh – das muss einfach gesagt werden – den in der Region außergewöhnlichsten Bioweinkeller. Alleine deshalb lohnt ein Besuch.
Gastwirtschaft Floh, Tullnerstraße 1, 3425 Langenlebarn, www.derfloh.at

Der Norden der Hauptstadt gibt so einiges her. Zum einen ist es ein Erholungsgebiet allererster Güte, weil er grün ohne Ende ist. Das ist zwar nicht unbedingt politisch gemeint, aber von Wald und Wiese her allemal. Außerdem ist die Gegend gut für kulinarische Entdeckungen. An etablierten Plätzen, wie dem Floh bietet die Karte immer wieder Neues, andere sind (noch) weniger bekannte Tipps. Irgendwie ist es ja doch ein bisschen wie in Tiflis.

Autor: Jürgen Schmücking

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zuletzt geändert am 18.08.2020

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