Kind sitzt auf der Fensterbank bei einem beleuchteten Schwibbogen.
Foto: Thomas Kruse @photographisches.com

Erzgebirge – eine Reise ins Herz von Weihnachten

Erzgebirge - das klingt eher nach Kumpels mit verrußten Gesichtern, die in einem Stollen nach Bodenschätzen schürfen. Kaum jemand würde hier die Wiege des Kunsthandwerkes vermuten. Zur Weihnachtszeit präsentiert sich die Region mit ihren jahrhundertealten Traditionen.

In früheren Zeiten dominierte hier auch der Bergbau. Als man vor rund 850 Jahren erstmals Silber, Zinn und Kobalt gefunden hat, zog es viele Menschen in das Gebirge, das heute das „Erz“ in seinem Namen trägt. Heute ist das Erzgebirge gemeinsam mit dem tschechischen Teil Krušnohoří UNESCO Welterbe. Wer sich ein Bild darüber machen möchte, wie die Kumpels damals geschuftet haben, kann dies ganzjährig in einem der zahlreichen Schaubergwerke tun. Am ersten Wochenende im Juni finden alljährlich die Bergbau-Erlebnistage mit zahleichen Sonderführungen statt.

Die Menschen hier hatten zwar ein gutes Leben, reich sind sie nicht geworden. Das Silber wurde nach Dresden geschafft, damit die Herrscher dort glänzen konnten. In den Wintermonaten haben die Bergarbeiter zuhause als Handwerker betätigt und vor allem Figuren und Spielzeug aus Holz geschnitzt. Als die Erzvorkommen im Laufe der Zeit abnahmen und nicht mehr zum Broterwerb ausreichten, sicherte die Holzschnitzerei ein zusätzliches Einkommen. Die Tradition der erzgebirgischen Holzkunst führen heute rund 1.600 Handwerksbetriebe fort. Ihre kleinen und großen Kunstwerke sind wie geschaffen für die Weihnachtszeit.

Ein Engel mit elf Punkten

Unsere erste Station ist die Traditionsmanufaktur Wendt & Kühn in Grünhainichen, etwa 80 Kilometer südwestlich von Dresden. Dass zwei Frauen mitten im ersten Weltkrieg ein Unternehmen gründeten, war damals – 1915 - ziemlich einzigartig. Die beiden Schulfreundinnen Grete Wendt und Grete Kühn bauten ein ehemaliges Versandhaus zu einer Manufaktur um. Ihre Werke fanden rasch Beachtung, zahlreiche Aufträge folgten. Weil zu der Zeit der Mann das volle Verfügungsrecht über seine Frau hatte, haben die beiden zum Schutz ihres Unternehmens festgelegt, dass diejenige, die als erste heiratet, das Unternehmen verlassen muss. Für Grete Kühn war die Karriere als Unternehmerin 1920 schon wieder vorbei, während Grete Wendt 1923 als Weihnachtsgabe drei Engel mit Fackel, mit Geige und mit Flöte und elf weißen Punkten auf den grünen Flügeln entwarf. Dieses Jahr feierte man den 100. Geburtstag der weltweit begehrten „Elfpunkte-Engel“.

Präsentation der verschiedenen Engel auf einer halbrunden Treppe. Ganz oben eine Marienfigur mit einem Kleinkind, dahinter ein Lichterbogen.
Seit 100 Jahren fertigt die Manufaktur Wendt & Kühn die berühmten „Elfpunkte-Engel“ aus Holz. Bemalt werden die Figuren in Handarbeit. Foto: Roswitha Reisinger

Heute liegt die Firmenleitung in den Händen der Geschwister Florian Wendt und Claudia Baer, geb. Wendt. Die kleinen Engel und viele weitere Holzfiguren werden von 170 Mitarbeiter*innen für alle Welt gefertigt, und das zu 90 Prozent in Handarbeit. Verarbeitet wird ausschließlich regionales Holz aus Fichte, Linde, Buche und Ahorn, das zwei Jahre lang vorgetrocknet ist. Nach der Dreherei werden die Einzelteile händisch zusammengeleimt und bemalt – alleine in der Malerei arbeiten 70 Leute.

Obwohl es viele der insgesamt 2.500 Modelle, die im Laufe der Zeit entworfen wurden, heute nicht mehr gibt, kann man beschädigte Figuren auch heute noch fachgerecht reparieren lassen. Nicht selten müssen die Restaurator*innen in den alten Katalogen nachschlagen, wenn alte Teile neu gedrechselt werden müssen.

Ein Reifen voller Tiere

Die zweite Station auf der verspielten vorweihnachtlichen Reise durch das Erzgebirge ist der Kurort Seiffen mit dem liebevollen Beinamen Spielzeugdorf. Seiffen ist das Sinnbild für die erzgebirgische Weihnacht mit zahlreichen Geschäften, in denen die Herzen von Kindern und Eltern höherschlagen. Einen Tipp vorweg: Gehen Sie nicht nur in die Geschäfte, sondern besuchen Sie - wenn möglich - auch die Handwerker*innen in ihren Werkstätten. Sie bekommen zu den Figuren auch viele Geschichten mit, die Sie zuhause erzählen können.

Der erste Weg führt uns ins Freilichtmuseum. Mittlerweile hat es leicht zu schneien begonnen. Hier treffen wir Hans-Günter Flat im Reifendreher-Haus aus dem Jahr 1760 mit dem original erhaltenen Drehwerk mit Wasserkraftantrieb. Flat ist einer der letzten Meister, der das Handwerk des Reifendrehens noch beherrscht. Aus einem Baumstamm entstehen Reifen, in die in unglaublicher Präzisionsarbeit beim Drehen das Relief eines Tieres geschnitzt werden. Schließlich werden die Tiere - Katzen, Schafe, Pferde, Igel, Elefanten und viele mehr – wie Kuchenstücke scheibchenweise mit einem scharfen Messer aus dem Reifen geschnitten und mit feinen Pinseln bemalt.

Hans-Günter Flat an der Drehmaschine
Hans-Günter Flat ist einer der letzten Meister, der das Handwerk des Reifendrehens noch beherrscht. Foto: Christian Brandstätter
Flat präsentiert einen fertigen Reifen.
Aus dem Holzreifen werden die Tiere scheibchenweise runtergeschnitten und bemalt. Foto: Roswitha Reisinger

Ein Nussknacker reist um die Welt

Die Werkstatt von Markus Füchtner etwas außerhalb von Seiffen ist auch eine Art Museum. Hier atmet man den Hauch von mehreren Jahrhunderten Handwerksgeschichte. Füchtner’s Vorfahren waren Zimmerleute, die in der arbeitsfreien Zeit im Winter mit Schnitzmesser und Drechseleisen aus den Abfällen der Zimmerei Holzfiguren schufen und damit für den Lebensunterhalt sorgten. Gotthelf Friedrich Füchtner bot bereits 1809 auf dem Striezelmarkt in Dresden Seiffener Spielwaren zum Kauf an, Wilhelm Friedrich Füchtner entwarf um 1870 den ersten erzgebirgischen Nussknacker. Die von ihm geschaffenen Figuren waren die Urtypen der weltbekannten Seiffener Nussknacker.

Markus Füchtner, dahinter Bilder seiner Vorfahren und darunter jeweils ein Nussknacker aus der Zeit.
Markus Füchtner vor seiner Ahnengalerie. Jede Zeit hatte auch einen eigenen Nussknacker. Foto: Roswitha Reisinger

Heute führt Markus Füchtner die Werkstatt in achter Generation weiter. Der Nussknacker ist nach wie vor der Star in seinem Figurenangebot. Zuerst werden Kopf und Körper gedrechselt und dann mit natürlichen Materialien geklebt und händisch bemalt. Obwohl die Werkstatt heute mit modernen Geräten ausgestattet ist, möchte Füchtner an die Tradition seiner Vorfahren anschließen. „Immer, wenn ich mir das Bild meines Großvaters in der Werkstatt anschaue, frage ich mich, wie er wohl gearbeitet hat. Ohne Strom, ohne Licht in der Nacht.“ Dann setzt er sich an die alte Drechselmaschine, die mit den Füßen – ähnlich einer manuellen Nähmaschine - betrieben wird und versucht, einen Rohling zu schnitzen. „Großvater muss auf jeden Fall ziemlich stark gewesen sein, denn das geht ordentlich in die Beine.“

In seiner Werkstatt hängt auch eine riesige Weltkarte mit zahlreichen Pinnadeln. Sie markieren die Stationen von Reisenussknacker Wilhelm. Er traf einen Schamanen im Dschungel, sorgte für Spendengelder zum Bau einer Schule in Uganda und eroberte Olympiagold mit dem deutschen Bob-Team. Auf die Idee kam ein Freund, der 2016 auf Weltreise ging und dabei etwas Typisches aus seiner Heimat mitnehmen wollte. Seither ist Wilhelm, eine Miniaturversion der weltberühmten Figur „Roter König“, unterwegs. Die letzte Reise des 12 cm kleinen Wilhelm hatte allerdings keinen Platz mehr auf der Weltkarte. Im November startete der deutsche Astronaut Matthias Maurer mit Wilhelm im Gepäck ins All. Schwerelos in der Raumstation schwebend grüßte der Botschafter des Erzgebirges seine Heimat.

Licht im Dunkeln

Draußen ist es bereits finster geworden und eine Schneedecke hat sich - wie bestellt für die vorweihnachtliche Stimmung - über das Spielzeugdorf Seiffen gelegt. In vielen Fenstern leuchtet ein Schwibbogen. Es ist dies ein halbrunder Holzbogen mit mehreren Lichtern darauf, der den Eingang in ein Bergwerk symbolisieren soll. Die Tradition besagt, dass die Lichter den Bergleuten den sicheren Weg nach Hause zeigen sollten. Der Schwibbogen in seiner schlichten, fast meditativen Anmutung hebt sich wohltuend vom vorweihnachtlichen Beleuchtungswahnsinn mancher Zeitgenoss*innen ab.

Beleuchteter, kunstvoll geschnitzter Holzbogen in einem Fenster.
Wenn es draußen finster wird leuchtet aus vielen Fenstern ein Schwibbogen. Foto: Tourismusverband Erzgebirge / studio2media

Ein ganz anderer Bogen spannt sich über die vielen regionalen Handwerksbetriebe im Erzgebirge – es ist die Nachhaltigkeit. Jahr für Jahr werden die Engel und Bergmänner, die Krippenfiguren, Nussknacker, Räuchermännchen, Pyramiden und Schwibbögen in der Vorweihnachtszeit vom Dachboden geholt. Sie sind aus echt gutem Holz und Begleiter für das ganze Leben, auch noch für die Kinder und die Enkerl. Und wenn doch einmal etwas kaputtgeht, dann wird repariert, auch wenn das bisweilen teurer ist als eine neue Figur zu kaufen. Gute Freunde wirft man halt nicht weg!

Weitere Infos über das Erzgebirge>>>

Infos Sachsen in der Weihnachtszeit>>>

Autor*innen: Christian Brandstätter, Roswitha Reisinger

Der Besuch im Erzgebirge erfolgte auf Einladung der Deutschen Zentrale für Tourismus in Zusammenarbeit mit der Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen.

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zuletzt geändert am 20.11.2023

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