Schwimmen im kalten Wasser
Worauf du achten solltest, wenn du im kalten oder eisigen Wasser schwimmen möchtest, und was das mit deinem Körper macht erzählt uns Hansjörg Ransmayr, Bergwanderführer, Wasserretter und Spezialist für Kalt- und Freiwasserschwimmen.
Wir treffen Hansjörg beim Vollmondschwimmen in Obertauern zum Interview. Er ist der Vater dieses jährlichen Events, das immer größere Beliebtheit genießt. Über 200 Teilnehmer*innen tauchten im August bei Nacht in den finsteren, 12 Grad kalten Grünwaldsee auf knapp 2.000 Meter Seehöhe.
Lebensart-Reisen: Wie bist du zum Kaltwasserschwimmen gekommen?
Ransmayr: Ich bin früher expeditionsmäßig Wildwasser gefahren und manchmal unfreiwillig im kalten Wasser geschwommen und das hat mir extrem getaugt. So bin ich als erster Österreicher durch die Straße von Gibraltar geschwommen oder von Alcatraz nach Francisco und auch längere Distanzen, bis zu 30 Kilometer. Das geht jetzt leider nicht mehr, weil ich nach einem blöden Snowboardunfall zu früh zu trainieren angefangen habe. Heute schwimme ich kürzere Distanzen, aber dafür an epischen Plätzen. In Albanien, Montenegro, Kroatien, im Kosovo oder in Bergseen in Österreich.
Was fasziniert dich am Kaltwasserschwimmen?
Es ist dieser bewusste Ausstieg aus der Komfortzone. Ich schwimme am liebsten unter Wasserfällen – da schwimmst du quasi in einer Art Sprudelbad. Aber auch so ein Bergsee hat diese Wirkung. Wenn es wirklich kalt ist, wirst du - nicht zuletzt durch die Kaskade an ausgeschütteten Neurotransmittern und Hormonen - äußerst fokussiert. Es ist wie beim extremen Klettern: man ist total im Hier und Jetzt. Und weil man heutzutage soviel von „Achtsamkeit“ , „Selfawarness“, „Mindfulness“ spricht - im Kaltwasser erlebt man all das äußerst intensiv! Durch die enorme Endorphinausschüttung kommst du in eine Hochstimmung, man kennt das auch als Runners High. Meines Erachtens wird das im kalten Wasser noch viel schneller und stärker erreicht.
Ich arbeite auch sehr viel mit der Psychiatrie zusammen und wir haben extreme Erfolge mit dem Kaltwasserschwimmen bei Depressionspatienten. Während des Studiums habe ich auch viel mit problematischen Jugendlichen in der Bewährungshilfe gearbeitet. Die haben ein gewisses Aggressionspotenzial und brauchen eine Selbstbestärkung. Mit so einer Challenge haben sie ein Ventil. Durch dosiertes Kaltwasserschwimmen erhalten sie eine positive Selbstbestätigung, da haben wir wirklich sehr, sehr schöne Erfolge.
Und es gibt ja jetzt immer mehr Nachweise, dass die Kaltwasserexposition sehr viel psychologische und physiologische Vorteile hat. Zum Beispiel bei entzündlichen Prozessen, die sehr vielen Krankheitsbildern zugrunde liegen. Sogar Alzheimer soll durch gewisse entzündliche Prozesse im Gehirn ausgelöst werden. Durch die Kaltwasserexposition können gewisse Eiweißverbindungen wieder gelöst werden. Das ist spannend.
Wer interessiert sich für das Kaltwasserschwimmen?
Das ist ganz unterschiedlich, von ganz jung bis ganz alt, jede Berufsgruppe. Auffällig ist nur, dass sich sehr viel mehr Damen dafür begeistern, je kälter es wird. Bei meinen Events sind 80 Prozent Frauen.
Wie erklärst du dir das?
Wir haben sehr viele Damen in den Wechseljahren, viele Frauen, die Yoga machen. Es geht um eine neue Körperlichkeit, um mehr Erdung. Frauen sind zudem viel mutiger als Männer, sie sind sehr viel eher bereit, etwas Neues auszuprobieren. Und sie halten auch mehr aus, physiologisch bedingt. Sie haben mehr Unterhautfettgewebe – das bringt eine bessere Isolierung.
Du hast Trainingswissenschaften studiert und enorm viel praktische Erfahrung im Kaltwasserschwimmen. Worauf müssen Anfänger*innen achten?
Das Wichtigste ist, die Atmung zu kontrollieren. Nicht zu hecheln anfangen, also nicht hyperventilieren. Genauso schädlich ist das Gegenteil - und das ist noch viel öfter der Fall: Die Leute gehen ins kalte Wasser und halten den Atem an. Der Schock ist dann nicht, weil das Wasser so kalt ist, sondern weil die Leute keine Luft mehr bekommen. Deshalb muss man den Leuten sagen: tief und gleichmäßig atmen, und zwar in den Bauch atmen. Das ist eigentlich keine Hexerei, sondern man muss sich einfach wirklich dazu zwingen, schön, tief, gleichmäßig weiter zu atmen, dann ist das überhaupt kein Problem. Und das können alle. Ich habe in meinen Kursen Kinder ab sechs Jahren bis zu alten Menschen mit 85 Jahren.
Woran merke ich, dass für mich oder für andere Gefahr besteht?
Ein Alarmsignal ist, wenn ich im Wasser zittere. Prinzipiell ist zittern okay, aber wenn ich im Wasser zum Zittern anfange, mache ich etwas verkehrt. Meistens stellt sich das Zittern erst nach dem Schwimmen ein, und dann hat es positive physiologische Wirkungen – ich erwärme mich schneller. Wenn ich im Wasser zum Zittern anfange, dann muss ich raus. Genauso, wenn die Haut fahlweiß oder die Lippen blau werden. Aber das passiert erst bei längeren Strecken und Temperaturen unter 5 Grad.
Gibt es Regeln, wie lange man in kaltem Wasser bleiben kann oder soll?
Ja, die gibt es, und das hängt von der Temperatur ab. Kaltwasserschwimmen ist alles unter 15 Grad, Winterschwimmen ist alles unter 10 Grad und Eisschwimmen ist alles unter 5 Grad. Die Regel für Anfänger ist, dass ich bei 15 Grad 15 Minuten drin bleiben kann, bei 10 Grad 10 Minuten und bei 5 Grad 5 Minuten. Das ist so die die Daumenregel, die man nicht überschreiten sollte. Wenn man dann besser trainiert ist, kann man sich auch mehr trauen.
Das Training ist ganz ähnlich wie beim Sport. Am Anfang nicht zu oft und nicht zu lange ins kalte Wasser. Daher ist es auch ganz gut, wenn man mit jemanden schwimmt, der schon ein bisschen Erfahrung hat und der den anderen auch lesen kann. Ein Übertraining sollte vermieden werden.
Am Anfang sollte man nur in hüfthohes Wasser gehen, dorthin, wo ich auch stehen kann, nicht gleich ins tiefe Wasser hüpfen. Und es gilt das gleiche Prinzip wie beim Tauchen, nie allein. Wenn es dann ans Schwimmen geht, eine Sicherheitsboje verwenden, die man hinterher zieht.
Wie hilft die Boje? Dass man gesehen wird? Oder hält sie einen auch an der Oberfläche?
Die Boje hat so viel Auftrieb, dass man sich gegebenenfalls zu zweit dranhängen kann. Sie hat mehr Auftrieb als eine Schwimmweste. Wenn zum Beispiel einen Krampf habe kann ich mich an ihr festhalten und abwarten bis Hilfe kommt. Sie ist klarerweise kein Ohnmachtsschutz, aber es gibt auch ganz wenig ohnmachtssichere Schwimmwesten. Darüber hinaus bringt die Boje eine bessere Sichtbarkeit. Das ist speziell am Meer, und überall dort, wo Schiffsverkehr ist, ein ganz wichtiger Punkt.
Die von mir vermarkteten Bojen haben zudem ein wasserdichtes Trockenfach und Rucksackgurte – sie können als Rucksack und als Boje verwendet werden. Mit ihnen kann ich zum Bergsee wandern. Dort klipse ich die Rucksackgurte ab, verstaue meine Wandersachen, meine Autoschlüssel, mein Handy im Trockenen und nutze den Rucksack als Boje. Das hat den Vorteil, dass ich nicht mehr zurückschwimmen muss – was bei Mehr-Seen-Wanderungen Sinn macht. Ich mache wunderbare Wandertouren, bei denen wir mehrere Bergseen durchschwimmen.
Was ist dir bei diesen Touren wichtig?
Bei Bergwanderungen ist unser oberstes Prinzip, alle Plätze so sauber zu verlassen, wie wir sie vorgefunden haben. Und selbstverständlich schwimmen wir nicht um jeden Preis. Absolut tabu sind Brutgebiete, Laichgebiete oder Schilf. Oder ein Gewässer, das durch lange Trockenperioden schon fast am Kippen ist. Und wir gehen nur in kleinen Gruppen. Die Menschen sollten die Natur kennenlernen, denn man kann nur lieben, was man kennt und man wird nur schützen, was man liebt.
Nach dem Interview haben wir es gewagt im 12 Grad kalten Grünwaldsee eine Runde zu schwimmen. Roswitha: „Ich habe einfach konzentriert in den Bauch geatmet – so wurde mir nie kalt.“ Christian: „Ich hätte locker noch länger schwimmen können.“ Beide haben wir die angebotene Sauna bzw. den warmen Whirlpool nach dem Schwimmen verschmäht. Zu gut haben wir uns durch die Kälte gefühlt. Der wichtigste Tipp dafür: ruhige, tiefe Bauchatmung.
Das Interview führten Roswitha Reisinger und Christian Brandstätter
Weiterführende Infos
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zuletzt geändert am 15.10.2025