Die hohen grün-braunen Gräser in den Dünen werden vom starken Seewind in den Sand gedrückt, im Hintergrund ein stark bewölkter Himmel bei Sonnenuntergang über dem Meer. EIn Farbenspiel von Grau, Schwarz über dunkle und hellere bis türkise Blautöne bis hin
Foto: David Becker, unsplash

Sylt - Watt, Wind und Wellen

Dort, wo das Meer ist, muss es auch nach Meer schmecken. Ein kulinarischer Streifzug durch Sylt – salzig und strandverliebt im Norden Deutschlands.

Der Wind legt es zart auf die Lippen. Den Lungen tut es unbemerkt gut. Die Wellen spülen es zwischen Muscheln, Bernstein und Zehen an den Strand: Was wäre Inselurlaub ohne das salzige Meerwasser auf der Haut? Und was wären wohl die Gerichte der Welt ohne die feinen Salzkristalle? Wahrscheinlich ziemlich geschmacklos. Das weiß auch Sternekoch Alexandro Pape auf Sylt. Beim Kochen und Kosten setzt er auf die Spezialitäten seiner Insel. Allerdings ist es im Norden Deutschlands zu kalt für die Produktion von Meersalz. Jahrelang tüftelte er an einer Lösung. Jetzt stellt er in List das einzige Meersalz aus Deutschland in einer Indoor-Saline her. Naturbelassen und ohne Zusatzstoffe. Dafür kommt das Nordseewasser über eine Pipeline direkt in die Salzgewinnungsanlage, wo durch Verdunstung das Salz gewonnen wird. Mit dem überbleibenden Kondensat wird Bier gebraut.

Für 100 Kilogramm Salz braucht es bis zu 4.000 Liter Nordseewasser. Im Durchschnitt hat ein Kilogramm Meerwasser rund 35 Gramm Salz. Das sind ungefähr drei Esslöffel Salz pro Liter. Dieses Salz kommt zum einen aus den Steinen am Meeresgrund, zum anderen tragen Bäche und Flüsse es ins Meer. Wenn das Wasser verdunstet, bleibt das Salz zurück und dadurch ist das Meer salziger als andere Gewässer.

Gummistiefel-Zeit

Während im Hochsommer so mancher Strand an der Nordsee überlaufen ist, stellt sich abseits von Juli und August angenehme Ruhe ein. Kilometerlang lässt es sich dann den leeren Strand entlanglaufen und zwischen dem Strandhafer auf der Düne nach dem nächsten Leuchtturm Ausschau halten. Fast unbedingt werden Naturliebhaber*innen vom Leuchtturmfieber infiziert. Plötzlich will man alle sehen. Jeder auf der Insel ist einzigartig und unheimlich fotogen. Selbst bei Schmuddelwetter heißt es: Die Gummistiefel anziehen und zum Watt spazieren – das ist der Bereich zwischen Land und Meer, der bei Flut überspült wird und bei Ebbe trocken liegt. Der graue Schlick ist ein besonderer Lebensraum, kann aber für unachtsame Wandernde auch gefährlich werden, wenn sie von der Flut überrascht werden. Daher lieber am Strand bleiben und das Watt bei einer geführten Wanderung erkunden.

Im Vordergrund ein sanftes, sandfarbenes bis rötliches Kliff bewachsen von Gräsern und Kräutern in hellen grün und brauntönen, dahinter das Meer unter einem blau-grau bedeckten Himmel.
Das Morsum Kliff auf Sylt. Foto: Anita Arneitz

Das Wattenmeer gehört zum UNESCO-Weltnaturerbe und ist eines der vielen Schutzgebiete auf der Insel. Dazu gehören auch die Bradeuper Heide mit dem Morsum-Kliff. Seit zehn Millionen Jahren haben sich am Kliff Erdschichten aufeinandergelegt. Heute ist es eines der bedeutendsten geologischen Denkmäler in Deutschland. Die Steilküste schimmert in unterschiedlichsten Farbtönen und reicht bis ins Wattenmeer. Wer dem Rundweg direkt von Kampen oder vom Parkplatz an der Straße „Üp di Hiir“ aus folgt, kann gleich drei verschiedene Landschaftsformen binnen kurzer Zeit erleben.

Nur ein Stückchen weiter liegt das kleine Örtchen Keitum. Hier ist der Geist der alten Seeleute noch lebendig. Die Häuser der Kapitäne sind traditionell mit Reet (Schilfstroh) gedeckt und hübsch geschmückt. Die Kirche St. Severin ist die älteste der Insel. Mit dem Friedhof am Meer erzählt der Platz viel über die Seefahrertraditionen. Aufbruch, Hoffnung, Heimkehr und Verschwinden liegen nah beisammen. Davon zeugen gut erhaltene Grabsteine aus dem 17. Jahrhundert. Damals fuhr so gut wie jeder Mann auf der Insel zur See.

Eine gut erhaltene kleine Kirche aus dem 13. Jahrhundert mit schlichtem, rotgemauertem Türmchen, eingesäumt von einem Weg aus roten Ziegelsteinen, die nass glänzen vom Regen, dazwischen sattgrüne Grasfläche. Der Himmel ist trüb, die Bäume tragen kein Laub
Die St. Severin Kirche auf Sylt. Foto: Matthias Eichinger

Tee-Pausen

Zwischendurch geht’s in eines der lieblichen Teehäuser zum Aufwärmen. Das Trinken des Friesentees ist ein eigenes Ritual. Traditionell wird der schwarze Tee mit Kandiszucker, Kluntje genannt, und Milch oder Obers gereicht. Beim Einschenken knistert der Kandiszucker und das Obers bildet eine kunstvolle Wolke. Dann wird langsam verrührt und ohne Hektik Schluck für Schluck getrunken. Ein Kenner des friesischen Tees ist Ernst Janssen, der sein Wissen in Teekursen weitergibt. Der ostfriesische Tee wird immer mit Kanne serviert und besteht aus schwarzem Assam-Tee. Dieser ist kräftig und fein würzig zugleich. Und er wird traditionell so lange nachgeschenkt, bis die Tasse umgedreht oder der Löffel quer über die Tasse gelegt wird.

Die friesische Teekultur wurzelt in der calvinistischen Mäßigkeitsbewegung aus dem 17. Jahrhundert, die von den Niederlanden ausgehend nach Ostfriesland kam. Die Gläubigen sollten ein sünden- und alkoholfreies Leben führen. Mäßigkeitsvereine verbreiteten die Kultur des Teetrinkens. Vor allem Frauen konnten dabei einmal ohne ihre Männer ausgehen und ganz unter sich sein. Heute wird zu jedem Anlass und zu jeder Tageszeit Tee getrunken. Im Winter kommt ein Schuss Korn dazu, fertig ist der Teepunsch. Auf der Insel lassen sich in den Teehäusern unheimlich viele Sorten kaufen. Im Schnitt trinken die Fries*innen elf Mal so viel Tee wie die Österreicher*innen.

Ein schmuckes Ziegelhaus mit Reetdach, die
Traditionell mit Reetdach: Die "Kleine Teestube". Foto: Anita Arneitz

Meist geht mit dem Teegenuss auch etwas süßes Gebäck einher. Sylter Friesenkekse zum Beispiel. Das Rezept geht auf Konditormeister Otto Wiedermann zurück, der 1888 in der Inselhauptstadt Westerland ein Wiener Kaffeehaus eröffnete. Inspiriert von Witte Pepemöts, einem alten Sylter Rezept, entwickelte er die sandigen Butterkekse. Wer Hunger auf mehr hat, bestellt Labskaus mit Spiegelei, Matjes und Gewürzgurke. Ja, und ein ein Fischbrötchen ist immer eine gute Wahl.

Insel-Liebe

Landschaftsbilder, Tierwelten, Sprache, Bauart der Strandkörbe, Kultur und Brauchtum – jede Nordseeinsel hat ihre Eigenheiten, selbst in kulinarischer Sicht. Aber eines verbindet sie dann doch: der Abstand zum Festland und die tiefe Verbundenheit mit dem Meer.

Autorin: Anita Arneitz

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zuletzt geändert am 06.01.2024

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