Ein junger Mann lehnt sich leicht aus dem Fenster eines Zuges, man sieht sein Gesicht im Profil einmal hinaus ins Grüne der vorbeiziehenden Landschaft schauen und gleichzeitig auch in der reflektierenden Glasscheibe des Zugfensters sozusagen nach innen bl
Foto: Ave Calvar

Alleine unterwegs

Wie das Alleinsein auf Reisen das Selbstvertrauen stärkt, warum Einsamkeit ein wichtiges Gefühl ist und wie man sich unterwegs mit anderen Menschen verbinden kann.

Weitwandern in den Alpen, eine Auszeit im Wellnesshotel oder ein Rucksacktrip quer durch Europa: Sich beim Reisen allein auf den Weg zu machen, ist heute für viele Menschen ganz normal. Laut einer Umfrage der Bewertungsplattform TripAdvisor sind 74 Prozent schon einmal allein verreist oder planen dies. Eine Umfrage der Buchungswebsite Agoda zeigt: 61 Prozent der Befragten reisen lieber allein, weil sie dabei unabhängiger sind, sich besser entspannen und genau das machen, wonach ihnen ist. Als wichtigster Grund für den Solo-Trip wird angegeben, neue Kulturen kennenlernen zu wollen.

Alleinreisen stärkt das Selbstvertrauen

Alleine zu reisen ist eine Einladung, sich selbst besser kennenzulernen. An jeder Ecke lauern neue Gelegenheiten dafür. Das Gehirn orientiert sich außerdem unaufhörlich neu und ist viel aktiver als in gewohnter Umgebung. „Man ist sehr wach, muss ständig neue Informationen verarbeiten und rückfragen: Wie geht es mir und was brauche ich? Auch eine gewisse Nervosität kann die Aktivierung des Gehirns verstärken“, erklärt die Psychologin Sonja Unger. Man lernt die eigenen Bedürfnisse besser kennen und schärft die Entscheidungsfähigkeit, weil man neue Herausforderungen im Alleingang meistert. „Wer sich auf das Alleinreisen einlässt, baut möglicherweise ein Stück weit die eigenen Ängste ab“, erklärt Unger. Das Vertrauen in sich selbst wächst, weil man erfährt: Egal, was passiert – ich finde einen Umgang damit. Diese Haltung mache Menschen auch im Alltag lockerer und trage dazu bei, auch daheim öfter Neues ausprobieren zu wollen.

Einsamkeit ist ein wichtiges Gefühl

Sich beim Solo-Reisen zwischendurch auch mal einsam zu fühlen, ist normal. Allerdings heißt allein unterwegs zu sein nicht automatisch, einsam zu sein. „Alleinsein ist der neutrale Umstand, dass man niemanden direkt neben sich hat. Einsamkeit hingegen ist ein unangenehmes Gefühl, das sowohl allein als auch in der Umgebung anderer Menschen auftreten kann, mit denen man sich wenig verbunden fühlt“, erklärt Unger. Kommt beim Solo-Trip tatsächlich einmal Einsamkeit auf, ist das ein positives Signal. Es zeigt, welche Menschen einem am Herzen liegen und macht ein Stück weit dankbar für sie. Freundinnen oder Freunde anzurufen oder in Erinnerungen an die Heimat zu schwelgen, kann in solchen Momenten kurzfristig helfen. Grundsätzlich liegt aber ein großes Potenzial darin, die eigene Einsamkeit auszuhalten. „Ich kann feststellen: Okay, es ist schmerzhaft, ich bin traurig, es ist schlimm. Trotzdem stehe ich am nächsten Morgen auf und die Emotion ist weg oder weniger intensiv geworden“, sagt Unger. Die eigenen Gefühle regulieren zu können und zu erfahren, dass auch negative Gefühle aushaltbar sind, macht insgesamt freier. Dann ist man nicht mehr so darum bemüht, solche Situationen möglichst zu vermeiden.

Mann steht auf einer Anhöhe unter einem mächtigen Baum und blickt ins Tal in den Sonnenuntergang.
Foto: Reymark Franke

Noch etwas kann die Einsamkeit: Sie zeigt uns auf, dass wir uns nach der Verbindung zu anderen Menschen sehnen. „Das Gefühl der Einsamkeit ist extrem schmerzhaft. Das soll es auch sein, damit wir den Kontakt zu anderen Menschen suchen, den wir aus evolutionsbiologischer Sicht auch brauchen“, erklärt Unger. In Situationen, in denen man nicht auf sichere Kontakte wie Freundschaften oder Familie ausweichen kann, geht man eher auf Fremde zu. Das kann im Urlaub in gewisser Weise sogar einfacher sein als daheim. Vor fremden Personen, die man vielleicht nie wieder sieht, kann man sich womöglich authentischer zeigen. In der alltäglichen Umgebung neigt man eher zur Anpassung, um anderen gerecht zu werden oder Freundschaften zu erhalten. Urlaubsbekanntschaften kommen und gehen – man ist weniger abhängig und verstrickt als in persönlichen, engen Beziehungen. Positive Erfahrungen mit der eigenen Authentizität können dazu ermutigen, auch daheim mehr von sich zu zeigen.

Sich unterwegs mit anderen Menschen verbinden

Um auf Reisen mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen, gibt es viele Möglichkeiten. Man schließt sich einer Stadtführung an, checkt statt im Hotel im Hostel mit Gemeinschaftsraum ein oder sucht über digitale Plattformen den Kontakt zu anderen Reisenden und Einheimischen. Sich einfach mal auf einen Kaffee mit einer unbekannten Person zu treffen, kann eine lehrreiche Erfahrung sein. Man bekommt Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, immerhin hat man den Kontakt hergestellt, ein gutes Gespräch geführt und aufmerksam zugehört. Vielleicht lernt man dabei etwas über sich selbst oder darüber, wie man bei anderen ankommt. Etwa, indem man ein Lächeln geschenkt oder eine interessierte Frage gestellt bekommt. „Im Endeffekt erfährt man auf diese Weise, dass man total in Ordnung ist und sich das ruhig öfter trauen kann“, sagt die Psychologin. Coachin und Autorin Katrin Zita schreibt: Wenn Sie allein mit sich auf Reisen sind, haben Sie die einzigartige Chance, sich selbst zuzuhören. Sie können dem Menschen zuhören, der Ihnen am nächsten ist.“

Autorin: Maria Kapeller

Folge lebensart-reisen auf instagram>>>

zuletzt geändert am 31.01.2024

teilen twittern Instagram