Vor blauem Himmel mit weißen Schäfchenwolken ragt ein großer grüner Hügel über der Stadt Neretva. Im Tal liegt der smaragdgrüne Fluss, darüber spannt sich die weite und sehr hohe gebogene Steinbrücke Stari Most. Auch Türme und Minarette ragen zwischen d
Foto: Susanne Wolf

Bosnien - das vergessene Land

Entspannte Menschen, geschichtsträchtige Orte und grün-türkise Farbenpracht: Bosnien-Herzegowina bietet unerwartete Freuden für das Urlauben abseits des Massentourismus.

„The train to Mostar?“ Ich befinde mich am Bahnhof von Sarajevo, wo es keine Anzeigentafeln und keinen Hinweis darauf gibt, zu welchem Bahnsteig ich muss. Laufe Stiegen hinauf, sehe einen Zug am Gleis nebenan stehen, laufe wieder hinunter. Die Frau, der ich die Frage gestellt habe, antwortet: „You don‘t have to hurry, it‘s still three minutes.“ Seelenruhig geht sie vor mir die Stufen hinauf und spricht mit dem Schaffner, weil ich keine Zeit mehr hatte, ein Ticket zu kaufen. Er setzt eine strenge Miene auf, drei Bosnische Mark müsse ich extra zahlen.

Wir fahren los und die Landschaft außerhalb Sarajevos versinkt im Nebel. Bald kämpft sich jedoch die Sonne durch und wir werden von grünen Hügeln begleitet, unterbrochen von Tunnels. In einem davon ein lautes, metallisches Krachen. Wir kommen kurz nach dem Tunnel zu stehen – und dann geschieht lange nichts. Endlich taucht ein Zugbegleiter auf und erklärt, was passiert ist, ein älterer Bosnier übersetzt für mich: Ein Stein hat sich aus der Tunneldecke gelöst, ist auf die Lokomotive gestürzt und hat die Elektronik beschädigt. Eine neue Lokomotive wurde angefordert, aber es kann eine Stunde dauern, bis sie da ist.

Alte gelbne Straßenbahngarnitur
Foto: Susanne Wolf

Diese Stunde vergeht, dann noch eine. Ich unterhalte mich mit dem Bosnier, einem Universitätsprofessor, und er erzählt mir, dass er kurz vor dem Krieg mit seiner Familie in die USA ging und nach 20 Jahren zurückkehrte. Auf die Frage, warum er nicht geblieben sei, lautet seine Antwort: „Weil es sich hier gut leben lässt.“ Die Fahrgäste bleiben ruhig, ich höre viel Gelächter. In der Kaffeebar haben sich einige Leute versammelt und unterhalten sich angeregt. Nur manche schauen nervös auf ihr Handy, doch niemand scheint sich zu beschweren. Schließlich geht die Fahrt weiter und wir erreichen Mostar nach weiteren Unterbrechungen mit drei Stunden Verspätung.

Bosnien-Herzegowina ist ein Land, das von Massentourismus bisher verschont geblieben ist. Und doch hat es viel zu bieten: neben entspannten Menschen auch vielfältige Landschaften und malerische Städte. Und einen 24 Kilometer langen Küstenabschnitt entlang der Adria. Zug- oder Buspannen sind hier nichts Ungewöhnliches und wenn man sich als Reisende*r darauf einlässt, kann man es als sympathischen Aspekt dieses – aus westeuropäischer Perspektive – so unperfekten Landes betrachten.

Brückenspringer

Ein junger Mann in Badehose steht außerhalb des Geländers auf der Brücke und hält sich mit beiden Händen an den schmiedeisernen Stangen fest.
Alte Tradition und Touristenspektakel: Die Brückenspringer von Neretva stürzen sich von der 21 Meter hohen Stari Most in das türkis-grüne Wasser des Flusses. Foto: Susanne Wolf
In Mostar werde ich Zeugin eines waschechten Touristenspektakels: „Wieviel zahlt ihr, wenn einer von uns da runterspringt?“ Der junge Mann mit dem pockennarbigen Gesicht streift rastlos durch die Menschenmenge, die sich auf der Brücke, der 21 Meter hohen Stari Most, versammelt hat. Er spricht die Menschen auf deutsch, englisch, italienisch an. Ein zweiter hat sich bereits seiner Kleider entledigt und hantelt sich in Badehose außen am Brückengeländer entlang. Die Spannung steigt, aber der Kassier ist noch nicht zufrieden mit seiner Ausbeute. Noch ein paar Münzen klingeln in den Sammelkorb, bevor sich der Junge vom Geländer abstößt und kerzengerade ins Wasser springt. Zwei Minuten später entsteigt er unter Applaus der Neretva, deren türkis-grünes Wasser in der Sonne leuchtet.

Es ist eine alte Tradition, dass sich junge Männer todesmutig von der legendären alten Brücke Mostars in den Fluss darunter stürzen. Die Stari Most, ein Meisterwerk der osmanischen Baukunst, wurde 1993 im Bosnien-Krieg zerstört und Jahre später rekonstruiert. Heute schwingt sie sich wieder in kühnem Bogen über die Neretva, die die Stadt in eine christliche und eine muslimische Hälfte teilt.

Kriegsfolgen

Auch in Sarajevo zeugen zahlreiche Mahnmale von den Schrecken des Krieges, wie das Museum im Tunnel, durch den die Stadt während der vierjährigen Belagerung mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt wurde. Und doch ist Sarajevo heute wieder eine lebendige, weltoffene Stadt. Zahlreiche Moscheen wie die berühmte Gazi-Husrev-Beg-Moschee erinnern daran, dass ein Großteil der Einwohner dem islamischen Glauben angehört. Aber auch Synagogen, serbisch-orthodoxe und katholische Kirchen prägen das Stadtzentrum. Sarajevos orientalisch anmutende Altstadt, die Baśćarśija, zieht Besucher aus aller Welt magisch an. In der Gasse der Kupferschmiede klopft und hämmert es, die Handwerksleute bieten ihre Kunstwerke auch gleich zum Verkauf an.

Gondelbahn mit Blick auf Sarajewo.
Die Seilbahn auf den Trebević, den Hausberg Sarajevos, war eines der bekanntesten Symbole der Olympischen Spiele 1984. Heute bringt die nach dem Krieg neu errichtete Gondelbahn Tourist*innen und Einheimische direkt aus dem Zentrum der Stadt auf den 1.160 Meter hohen Gipfel des Trebević. Foto: Susanne Wolf

In Bezug auf die Nachhaltigkeit hat die Stadt noch viel Luft nach oben. Achtlos weggeworfener Müll und eine Flut an Plastiksackerln gerhören leider auch zum Stadtbild. Die Fußgänger*innen haben es angesichts zugeparkter Gehsteige nicht leicht und der Autoverkehr ist gemeingefährlich. Wahrscheinlich sieht man daher kaum Radfahrer*innen. Für ein Land, das an der Schwelle zum EU-Beitritt steht, gibt es da noch einige Hausaufgaben zu erledigen.

Herber Charme

Die Fahrt von Sarajevo ans Meer führt durch saftig-grünes Hügelland, vorbei an Ortschaften, die sich an die Berghänge klammern, entlang der türkis-grünen Neretva, die sich durch die bergige Landschaft schlängelt.

Anziehungspunkt für Urlaubende ist der Küstenort Neum. Der Landesteil nahe der kroatischen Grenze wird hauptsächlich von Kroat*innen bewohnt. Das bedeutet: keine Moscheen, sondern katholische Kirchen. Gleich gegenüber der Strandpromenade mit den Touristenlokalen prangt auf dem Felsen der vorgelagerten Halbinsel eine riesige kroatische Flagge.

Boote in der Bucht in Neum.
Die Bucht in Neum. Foto: Susanne Wolf

Neum versprüht einen herben Charme – Hotels, die aus den 70ern zu stammen scheinen, reihen sich an Touristenstände. Die von Kiefern gesäumte Bucht aber ist wunderschön und der Blick von der Hotelterrasse auf die im Meer versinkende Sonne ein Höhepunkt der Reise.

Naturschauspiel

Von Neum ist es nicht weit zu den Kravice-Wasserfällen, die sich in einem funkelnden Schauspiel über 26 Meter hinab in einen türkisfarbenen See ergießen. Ein paar Mutige tummeln sich in dem kühlen Wasser, andere erfrischen sich unter dem Sprühregen – ein wahrer Segen bei 35 Grad Lufttemperatur.

Die Kravice-Wasserfälle ergießen sich aus 26 Metern Höhe in einen türkisfarbenen See.
Kravice-Wasserfälle, Foto: Susanne Wolf

Auf der Rückfahrt nach Sarajevo bietet sich noch ein Zwischenstopp an: Im kleinen Ort Buna drängt sich ein ehemaliges Derwisch-Kloster in eine hoch aufstrebende Steilwand. Es wurde Ende des 15. Jahrhunderts im sogenannten türkischen Barockstil erbaut und war für damalige Verhältnisse luxuriös ausgestattet. Heute befindet sich hier ein Museum, das zusammen mit der angrenzenden türkisen Buna-Quelle einen malerischen Anblick bietet. Über Kloster und Quelle erhebt sich 25 Meter hoch ein steiler Felsen, in dem sich die „Grüne Höhle“ befindet, die mit einem Boot befahren werden kann – eine weitere Perle dieses an Schönheiten reichen Landes.

Eingefügt zwischen der hohen Felswand und dem Wasser des blau-grünen Flusses steht ein schmales, hohes Haus mit weißer Fassade und vielen dunkelbraunen Holzfenstern.
Das ehemalige Derwischkloster in Buna. Foto: Zac Wolff / unsplash

Autorin: Susanne Wolf

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zuletzt geändert am 17.04.2024

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