Mit Bus und Bahn durch den Balkan
Montenegro hat sich vom Geheimtipp zum beliebten Reiseziel entwickelt. Ein Höhepunkt für Bahnliebhaber*innen ist die elfstündige Fahrt von der Hafenstadt Bar nach Belgrad – mitten durch das Dinarische Gebirge und über die höchste Eisenbahnbrücke Europas.
„Neum?“ Der Busfahrer sieht mich überrascht an, als ich ihm mein Ticket zeige. Der Bus fährt in die kroatische Hafenstadt Dubrovnik und Neum, die einzige Küstenstadt Bosnien-Herzegowinas, ist ein Zwischenstopp.
Fast niemand, der die hübschen Städtchen an der kroatischen Küste kennt, will nach Neum – außer mir. Das mag daran liegen, dass ich immer schon eine Schwäche für Underdogs hatte, für die Außenseiter der Gesellschaft und dass mich Destinationen abseits der Touristenströme einfach mehr reizen.
Busfahrt mit Hindernissen
Ich habe bereits rund 900 Kilometer Busfahrt hinter mir, als ich auf meiner Reise in Neum ankomme, die mich von Wien über Sarajevo und Mostar hierhergeführt hat. Drei Tage in dieser friedlichen bosnischen Bucht, dann geht es mit dem Bus weiter nach Dubrovnik – wo ich meinen Anschlussbus nach Kotor, Montenegro verpasse. Die geplante Umsteigezeit beträgt nur zehn Minuten – für Busse am Balkan, die selten den Fahrplan einhalten, äußerst knapp kalkuliert. Da der nächste Bus erst sechs Stunden später fährt, gebe ich mein Gepäck in der Aufbewahrung am Busbahnhof ab und mache mich auf den Weg, die Stadt neu zu entdecken. Im Hafen ankert ein Kreuzfahrtschiff und um den Touristenansturm in der Altstadt – die ich aus früheren Besuchen kenne – zu vermeiden, nehme ich die erstbeste Treppe, die links hinaufführt. Unzählige Stufen später werde ich mit einem wunderschönen Ausblick auf den Hafen und das Meer belohnt.
Von Dubrovnik ist es nicht weit zur montenegrinischen Grenze: Sechs Stunden später bringt mich ein kleiner, überfüllter Bus nach Kotor. Die Fahrt ist abenteuerlich: Der Busfahrer steigt bei jeder noch so kleinen Haltestelle aus, um gierig an einer Zigarette zu ziehen. Während der Fahrt entlang der Steilküste zählt er hastig sein Geld. Wir kommen dennoch wohlbehalten in Kotor an – und nun holt mich der Massentourismus doch noch ein: Die Lage in der gleichnamigen Bucht, umgeben von steil aufsteigenden Bergen ist einmalig, die Altstadt ein Schmuckkästchen. Leider erkennen das immer mehr Touristen, im Hafen liegen gleich zwei Kreuzfahrtschiffe und ich bin erschlagen von den Menschenmengen. Was mich nachdenklich stimmt ist, dass auch ich Teil dieses Massenansturms bin – auch wenn ich nicht per Schiff angereist bin, sondern in einem vollbesetzten Bus.
Stadt der Katzen
Am nächsten Tag nehme ich so früh wie möglich den Weg in die Altstadt, die von einer mächtigen Stadtmauer umgeben ist. Kotor wurde 1979 in die UNESCO-Welterbe-Liste aufgenommen, ein Großteil der mittelalterlichen Festungen sind erhalten geblieben. Um diese Zeit sind noch nicht viele Menschen unterwegs und ich lasse mich durch die kleinen Gässchen treiben. Auffällig ist, dass hier viele Straßenkatzen zu sehen sind, und ich erfahre, dass sie nicht nur geduldet, sondern sehr beliebt sind – auch bei den Einheimischen. Dass sie gut versorgt werden, beweisen einige Futterstellen. Die Katzen von Kotor werden sogar bei einem Festival gefeiert und es gibt ein eigenes Katzenmuseum in der Stadt.
Schnell füllen sich die Gassen mit Touristen und ich kehre für eine Pause in meine Unterkunft zurück. Wo ich meiner Vermieterin begegne, die mich fragt, ob ich sie an den Strand begleiten möchte. Ohne lange zu überlegen, sage ich ja. Wir fahren hinaus aus der Stadt, halten bei einem kleinen Strandcafé und ich hüpfe ins Wasser, froh, den Menschenmengen entkommen zu sein. Den nächsten Tag verbringe ich außerhalb der Altstadt an der Strandpromenade Kotors, wo kleine Cafés neben Restaurants zum Bummeln und Verweilen einladen.
Montenegrinische Gastfreundschaft
Zwei Busstunden weiter wartet die Hafenstadt Bar: In meinem über AirBnB gebuchten Apartment werde ich von der Mutter meiner Vermieterin in Empfang genommen, die kein Wort Deutsch oder Englisch spricht. Wort- und gestenreich bietet sie mir ein breites Repertoire an Köstlichkeiten an, von Kaffee über Weintrauben bis Schnaps. Ich trinke einen Rakija mit ihr und krame die paar Brocken Serbokroatisch heraus, die ich mir im Laufe der Jahre angeeignet habe. Gordana holt ihre Nachbarn zu Hilfe, um ins Englische zu übersetzen, und es stellt sich heraus, dass diese russische Flüchtlinge sind. Die dann auch noch einen selbstgebackenen Kuchen bringen, den ich zu Gordanas Weintrauben esse. Bei selbstgemachtem Traubensaft erzählt Nachbar Dimitrij von der hohen Inflation im Land, von den Schwierigkeiten, sich hier ein neues Leben aufzubauen. Anders als das benachbarte Bosnien-Herzegowina hat Montenegro den Euro eingeführt und der Unterschied ist etwa bei den Lebensmittelpreisen offensichtlich. Die Stunden vergehen, der Traubensaft wird von Wein abgelöst und mir wird reichlich nachgeschenkt. Jemand holt eine Gitarre und wir sitzen bis am späten Abend zusammen – es fühlt sich an wie mit lieben Freunden.
Ein Abenteuer auf Schienen
Der Grund für meinen Besuch in der wenig bekannten Hafenstadt Bar hängt mit meiner Bahnleidenschaft zusammen: Von hier fährt ein Zug bis nach Belgrad, mitten durch das Dinarische Gebirge. Die Zugstrecke gilt als eine der schönsten und beeindruckendsten Europas und dauert elf Stunden, manchmal auch länger. Es stellt sich heraus, dass der Tageszug – den ich bewusst nehme, es gibt auch einen Nachtzug – zum letzten Mal in dieser Saison fährt, ohne dass ich das geplant hätte. Eine schöne Bestätigung dafür, dass es sich beim Reisen manchmal auszahlt, sich treiben zu lassen, ohne allzu viel vorauszuplanen.
Um neun Uhr morgens am nächsten Tag geht es los, ich bin mit Proviant und Wasser für die lange Fahrt ausgerüstet, denn Speisewagen gibt es keinen. Der Zug hat schon bessere Tage gesehen: Die Sitze sind durchgesessen, aus einem undichten Wasserhahn in einer der Toiletten rinnt in einem kleinen Rinnsal das Wasser über den Boden neben meinem Sitz. Die Strecke führt auf einem Damm über den Skutarisee, den größten See der Balkanhalbinsel, nach Podgorica, dann beginnt der Aufstieg in die Berge. Als wir das Mala-Rijeka-Viadukt überqueren, drängen sich neben mir die Fahrgäste ans Fenster – es ist mit 198 Metern die höchste Eisenbahnbrücke Europas. Wir werden mit einem spektakulären Ausblick auf das Tal und den Fluss belohnt, der sich tief unten dahinschlängelt.
Der Bau der Bahnstrecke Belgrad-Bar dauerte 25 Jahre und war nicht nur eine logistische Meisterleistung, sondern auch das teuerste und aufwändigste Infrastrukturprojekt im ehemaligen Jugoslawien. Seit der Einweihung 1976 durchfährt der Zug auf dieser Strecke insgesamt 254 Tunnel und überquert 234 Brücken.
Ankunft in Belgrad
An der Grenze zu Serbien dann ein kurzer Halt mit Passkontrolle und endlich ein Kaffee, serviert im Plastikbecher – nach siebenstündiger Fahrt gefühlt der beste meines Lebens. Die Weiterfahrt verläuft gemächlich durch sanfte, grüne Hügel und irgendwann schlummere ich auf meinem Sitz ein. Der Zug kommt nur eine halbe Stunde später als geplant in Belgrad an – Berichten zufolge dürften mehrstündige Verspätungen keine Seltenheit sein. Am Bahnhof dann die Erkenntnis, dass ich kein Geld gewechselt habe und mich nicht über den Wechselkurs der hiesigen Währung informiert habe. Ich winke einem Taxi und frage den Fahrer, ob ich in Euro bezahlen kann, er stimmt zu. Nach der kurzen Fahrt drücke ich ihm einen Zehneuroschein in die Hand, er überlegt kurz und gibt mir das Wechselgeld schulterzuckend in Dinar heraus. Ich muss lachen, sage „I trust you“, er antwortet lachend „I trust YOU!“ Es stellt sich heraus, dass er mir genau herausgegeben hat.
Ich schließe meine Reise mit einem Besuch der Belgrader Altstadt und den Zusammenfluss von Donau und Save ab, bevor mich ein Bus zurück nach Wien bringt.
Susanne Wolf
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zuletzt geändert am 12.02.2025