Genussreiches Ausseerland
Eine Reise zum Mittelpunkt des Landes und ins Herz der eigenen Vergangenheit: Jürgen Schmücking wandert auf den Spuren früher Erlebnisse und zeigt so manchen Insidertipp.
Erst das Mühlviertel (meine Kindheit), dann Tirol (meine Liebe, mein Jetzt). Irgendwie scheint sich herauszukristallisieren, dass ich hier meine Lebensgeschichte aufarbeite. Journalistische Distanz? Die war selten so gering wie bei diesem Text.
Ausseerland, das Zentrum Österreichs. Geografisch gesehen. Es sind starke Erinnerungen, kraftvolle Bilder, die mir in den Sinn kommen, wenn ich an meine Zeit in Altaussee zurückdenke. Ich habe die Kälte der Gegend erlebt. Wenn es in Aussee zu regnen beginnt ist die Chance groß, dass es lange regnet. Und dabei richtig kalt wird. Auch im Sommer. Ich habe in feuchtklammen Betten geschlafen und erinnere mich gut an den Ziegel, der im Holzofen aufgeheizt und dann in Decken gewickelt unter die Bettdecke kam, um zumindest bis zum Einschlafen einen Hauch Wärme zu spüren. Ich habe aber auch die atemberaubende Schönheit dieser Landschaft erlebt. Die steile Trisselwand, den Loser, die Fahrt mit der Plätte über den (meistens eiskalten) Altausseer See. Der Spaziergang rund um diesen See gehört zu den schönsten Wanderungen des Landes.
Meine Zeit im Ausseerland liegt etwa 25 Jahre zurück. Manche Namen und Betriebe, die ich hier empfehle gab es bereits damals. Nur vielleicht noch nicht bio. Oder doch. Für mich war das damals noch kein Thema. Ein Name, der beispielsweise immer wieder fiel, wenn es um gutes Essen ging, war der Grillhias. Heute ist der Grillhias ein Bio-Bauernhof, auf dem sich auch trefflich urlauben lässt. Der Grillhias liegt auf einem Aussichtsplateau auf gut 700 Metern Seehöhe und ist ein idealer Ausgangspunkt für ausgedehnte Spaziergänge und Wanderungen durchs Ausseerland. Im Winter, wenn Schnee liegt (und in Aussee liegt immer reichlich davon) kann man beim Grillhias direkt in die Loipe einsteigen oder den Hügel vorm Haus mit der Rodel runterdonnern. Neben Rindern hat der Hof auch noch Schweine, Esel und ein paar Ziegen. Und ein beeindruckendes Bio-Frühstück. Alleine das ist ein Grund, über ein paar Tage beim Grillhias nachzudenken.
Ein anderer Betrieb mit Bio-Frühstück und dem einen oder anderen Bio-Schmankerl auf der Speisekarte ist die legendäre Wasnerin. Ein Hotel, das etwas außerhalb von Bad Aussee liegt und nur deshalb nicht das ‚erste Haus am Platz’ sein kann. Es liegt einfach nicht ‚am Platz’. Ich verbinde mit der Wasnerin ein paar Erlebnisse der eher außergewöhnlichen Art. In meiner persönlichen Geschichte mit der Region spielen Pioniere der Fliegerei eine bedeutende Rolle. Ich habe viel Zeit mit Männern verbracht, die mit Hängegleitern, selbstgebastelten Segelflugzeugen und einer einmotorigen Piper PA18 Super Cub, dem kleinsten motorisierten Flugzeug, das man sich vorstellen kann, den Himmel über dem Ausseerland unsicher machten. Einmal war ich dabei, als ein versierter Kunstflieger, die Gäste der Wasnerin mit einem Gustostückerl fliegerischer Waghalsigkeit beeindrucken wollte. Er flog nur wenige Meter über dem Boden im Messerflug (also in 90gradiger Seitenlage) zwischen zwei Gebäuden der Wasnerin durch, übersah den Misthaufen, blieb mit einem Flügel hängen und überschlug sich und flog damit den Flieger zu Schrott. Das ist eine gefühlte Ewigkeit her und doch sind es Bilder, die bei mir unauslöschlich mit dem Hotel verknüpft sind.
Heute ist die Wasnerin ein modernes und wunderschönes Hotel mit attraktivem Außenpool und eindrucksvoller Küche. Eine Perle im Salzkammergut, nicht 100 % bio, aber auf gutem Weg und eine uneingeschränkte Empfehlung.
Runde Vielfalt auf der Knödelalm
Deftiger ist da schon die Knödelalm. Dort ging und geht man aus zwei Gründen hin. Erstens wegen der Knödel. Die gibt es dort in jeder erdenklichen Form und in einer Qualität, die zum Niederknien ist. Nachdem Sandra und Fred auch eine Bio-Landwirtschaft betreiben, ist der Bio-Anteil im kulinarischen Angebot der Knödelalm hoch. Meine Favoriten unter den köstlichen Kugeln: die feinen Bergknödl, gefüllt mit geschmortem Bio-Lamm und Bio-Erdäpfel-Kräuterteig. Oder, danach, die Bio-Zwetschkenknöderl. Freitag ist übrigens Lammtag. Meistens. Dann gibt es großartigen Braten, Stelzen und Beuschl. Alles wunderbar.
Der zweite Grund ist geistiger Natur und der, warum ich die Knödelalm eigentlich kennengelernt habe. Der Bio-Schnaps. Gebrannt wird alles, was die alpinen Bio-Obstgärten hergeben. Bergbirne, Spendling eine höchst seltene Frucht, dem Kriecherl nicht unähnlich und Bio-Vogelbeer. Gebrannt wird mitten in der Stube, was für Gäste ein Erlebnis und für den Brenner die Garantie ist, während der Brennsaison nicht völlig zu vereinsamen. Richtig berühmt ist die Knödlalm für ihren Bio-Zirben-Schnaps. Frische Zirbenzapfen, Bio-Schnaps, Bio-Zucker. That’s it. Das Ergebnis ist erstklassiger Zirbengeist, vermutlich der Beste der Welt.
Irgendwie ist das Ausseerland ein magischer Ort, der einen nicht so schnell wieder loslässt. Klar, es gibt auch das Narzissenfest, Touristen in Lederhosen und eine überall präsente Erzherzog Johann und Postmeistertochter Anna Plochl-Romantik. Aber abgesehen davon ist es auch ein inspirierender Ort. Barbara Frischmuth schreibt in und praktisch immer über Altaussee. Ob sie es dabei benennt oder nicht. Torberg war ständig hier. Im Buch (und auch im Film) traf der Schüler Gerber seinen verhassten Mathematikprofessor Kupfer zufällig bei einem Spaziergang um den Altausseer See.
Einmal im Jahr brennen die Gipfel
Beim Sommerfest ‚Berge in Flammen’ werden am Losergrat, dem Losergipfel und der Trisselwand bengalische Feuer entzunden, die Felsen leuchten in heller Glut und strahlen zum See hinunter. Das Panorama an so einem Abend ist atemberaubend. Entsprechend wird auf der Seewiese gefeiert, bis das Feuerwerk kommt. Oder die Rettung. Aussee ist und bleibt ambivalent. Auch in meiner persönlichen Geschichte. Meine erste Frau hatte familiäre Wurzeln im Ausseerland. Wir haben in Altaussee geheiratet, sind über den See geplättet und haben in der Loserhütte gefeiert. Die verwegenen Flieger von denen ich erzählt habe, waren mein damaliger Schwiegervater und seine Verwandten. Ich habe die Landschaft nicht nur von innen, sondern auch von (weit) oben kennengelernt. Ich bin mitgeflogen, wenn sie mit einem Werbebanner mit der Aufschrift ‚Ausseer Lebkuchen’ ihre Kreise über die Strände des Grundlsees gezogen haben, habe aus der Vogelperspektive erkannt, woher das Tote Gebirge, dieser baum- und strauchlose unwettergebleichte Gipfelkalk seinen Namen hat und bin mit meinem Schwiegervater am Dachsteingletscher gelandet. Manchmal denke ich noch daran. Ganz vergessen kann ich das Ausseerland nicht. Will ich auch nicht.
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zuletzt geändert am 20.04.2021