Ein gebogener, aus Steinen gemauerter Arkadengang mit runden Bögen.
Der Kreuzgang des Klosters. Foto: Erzdiözese Salzburg

In der Stille des Klosters

Was geschieht, wenn man der Stille nicht nur begegnet, sondern sich ihr voll und ganz ausliefert? Die Schwestern von Bethlehem wissen es. Hoch oben in den Pongauer Bergen leben sie abgeschieden von der Welt – und fast vollkommen im Schweigen. Wer in ihr Kloster kommt, findet mitunter etwas wieder, das im Alltag verlorengeht: den eigenen Rhythmus.

Meter für Meter rückt die Zivilisation in weitere Ferne. Die Straße schlängelt sich vorbei an hahnenfußgesprenkelten Wiesen und durch Wälder, in denen Nebelfetzen hängen, bis sie mich an der Pforte des Klosters „Maria im Paradies“, hoch über dem Salzburger Gasteinertal entlässt. Beim Betreten des Klosters umfängt mich eine fast greifbare Stille. Als würde die Natur selbst den Atem anhalten.

Hier treffe ich zwei Ordensfrauen. Beide im weißen Habit mit großer Kapuze, beide grüßen herzlich. Das mag überraschen. Denn die 24 Schwestern der Gemeinschaft von Bethlehem, die heuer das 40-jährige Bestehen ihres Klosters auf der St. Veiter Kinderalm feiern, haben ein Leben für Gott gewählt und sich damit auch dem Schweigen verschrieben. Still gehen sie ihrem Tagwerk nach, still bemalen sie Keramiken mit orientalischen Mustern, still kochen und waschen sie. Sogar gegessen wird allein in der eigenen Zelle. Ihre Stimmen lassen die Eremitinnen nur bei den Gesängen der Liturgie erklingen oder sonntags, wenn sie zusammen essen und bei Spaziergängen durch den Wald das teilen, was ihre Herzen berührt und was sie die Woche über kontempliert haben – oder eben, wenn es ihre Aufgabe ist, Gäste ins Klosterleben einzuweisen.

Auf dem Foto sieht man links am Wegrand eine große, mit einem kleinen Schindeldach überdachte Ikone der Mutter Maria mit dem Jesuskind, darunter die Aufschrift
Foto: Kloster Maria im Paradies

In einer Zeit, in der Autolärm, Endlosfeeds auf dem Smartphone und leeres Geplapper permanent auf uns einprasseln und auch in uns selten Ruhe einkehrt, ist Stille ein rares Gut. Nach wissenschaftlichen Schätzungen spuken uns täglich 60.000 Gedanken durch den Kopf. Keine Pause, kein Leerlauf. Kein Wunder, dass viele den Wunsch verspüren, diesem Dauerrauschen zu entkommen. Sie möchten auf Small Talk und Höflichkeitsfloskeln verzichten. Sie möchten dem ständigen Druck entfliehen, jemand sein oder etwas leisten zu müssen. Diese Zuflucht vor dem Lärm des modernen Lebens finden sie mitunter in Schweige-Seminaren und Stille-Retreats. Oder heroben auf der Kinderalm. „Schweigen kann dabei unterstützen, dass wir uns über unsere Sinne in einen intensiven Austausch mit der Welt einlassen“, erklärt der Niederösterreichische Psychotherapeut Fritz Betz. „Das stärkt unsere Selbst- und Daseinsgewissheit. Es kann eine Möglichkeit sein, sich von störenden Gewohnheiten und Routinen des Alltags zu distanzieren und neue Perspektiven zu erproben.“

Den vielen Facetten von Sprechpausen und Stille geht Betz mit seinem Kollegen René Reichel in dem Buch „Schweigen macht Sinn“ auf den Grund: „Schweigen ist kontextabhängig“, erklärt der Experte. „Es kann Abwehr sein oder Nähe, Macht oder Ohnmacht, gewollt oder aufgezwungen.“ Zur Veranschaulichung wählt er einen griffigen Vergleich: „Einzelhaft ist eine repressive Methode, um jemanden gegen den eigenen Willen von Kontakt und Begegnung, von Mitmenschlichkeit abzuschneiden. Meditation dagegen ist eine selbstgewählte Praxis, die in ganz unterschiedlichen Traditionen als Weg zum Ewigen, zum Heiligen, zum Göttlichen gilt.“

 Im Inneren einer Kapelle steht eine Klosterfrau im Habit vor einem schlichten Altar mit Monstranz, dahinter ein Goldenes Altarbild.
„Maria im Paradies“: Das Kloster der Schwestern von Bethlehem zeichnet neben der Abgeschiedenheit auch eine besondere Schönheit aus. Foto: Kloster Maria im Paradies

Auf der Kinderalm ist inzwischen ein neuer Morgen angebrochen. Es ist 6.45 Uhr. Die Luft ist klar, dicke Nebelschwaden ziehen durch die Wälder um die Kinderalm. In der Klosterkirche versammeln sich die Schwestern zum ersten gemeinsamen Stundengebet des Tages. Dann setzt der Gesang ein – ein uralter Hymnus, ein Loblied auf den heiligen, starken, unsterblichen Gott. Archaisch klingt er, durchdrungen von unerschütterlicher Kraft. Für sie sei es mehr ein Gefühl gewesen als ein Gedanke, erinnert sich die ältere der beiden Schwestern an ihren ersten Besuch in einem Kloster der Gemeinschaft von Bethlehem vor fast 30 Jahren, als sie diese Gesänge zum ersten Mal hörte: „Jetzt bin ich Zuhause.“ Denn Schweigen heißt in dieser Gemeinschaft nicht, dass die Beziehungen untereinander nicht tief und aufrichtig wären. Die Freude und innere Freiheit der Schwestern – trotz der äußeren Strenge – hatten sie tief berührt. So wie auch viele der Gäste, die besonders in den Sommermonaten im Gästetrakt Unterkunft finden. „Zu uns kommen Menschen, die eine Sehnsucht verspüren, ihr Leben für eine gewisse Zeit auf das Wesentliche zu reduzieren“, erzählt die Ordensfrau. „Der Rahmen der Stille, den es hier bei uns gibt, ist heute auf eine besondere Weise anziehend. Für manche ist die Anbetung alles, was sie brauchen. Andere mähen uns den Rasen.“

Nach diesem Gespräch bin auf mich zurückgeworfen. Hier gibt es keinen Fernseher, einen mehr als wackligen Handyempfang. Die Zimmer der Gäste sind ähnlich schlicht wie die der Ordensfrauen: ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl, alles aus Holz, das die Jahre dunkel bemalt haben. In einer Nische hängt eine Ikone der Dreifaltigkeit an der Wand, davor eine Bibel mit Seiten aus hauchdünnem Papier und ein Gebetsschemel. Es ist ein einfaches Leben, das strukturiert ist durch die Gebetszeiten in der Klosterkirche und die drei Mahlzeiten pro Tag, die ich mir in einem Korb hole und in meiner Zelle zu mir nehme.

Die Stille ist bald nicht nur draußen. Sie ist auch im Kopf. Und da bleibt sie nicht immer freundlich. Nach einigen Stunden wird sie laut. Gedanken rasen, Erinnerungen tauchen auf, Fragen. Ich ertappe mich dabei, wie ich automatisch zum Handy greifen will, das abgeschaltet in der Tasche liegt. „Wenn man in die Stille eintritt, stoppt das innere Kino nicht einfach“, hatte mir eine der beiden Schwestern zuvor anvertraut. Ich verstehe langsam, was sie meint. Ihr habe zu Beginn ihrer Klosterzeit geholfen, zu kalligraphieren oder Keramiken zu bemalen. „Die repetitive Gesten sorgen für Ruhe im Kopf. Sie sind ein ganz anderer Aspekt der Stille als jene in der Meditation.“ Wobei: „Stille ist nicht da, um still zu sein“, hatte die andere ergänzt. „Sie ist nicht das Ziel, sondern ein Raum, um mit Gott in Dialog zu treten. Sie ist gleichzeitig eine Fülle und ein Abgrund, denn sie konfrontiert uns mit Seiten an uns, die wir nicht kennen und erst annehmen müssen. Es braucht Mut, dass man sich so von Gott anschauen lässt.“

Altarraum aus Nadelholztäfelung, lebensgroße, goldene Ikonen als Haupt- und Seitenaltarbildern.
Gebet in der Klosterkirche. Foto: Erzdiözese Salzburg

Am zweiten Tag beginne ich, die Umgebung anders wahrzunehmen. Die Geräusche aus dem Wald – Regentropfen, die sich von den Blättern lösen, Äste, die im Unterholz knacken – wirken plötzlich wie Teile eines Gesprächs, das ich sonst überhöre. In mir wird es stiller. Ich registriere Gedanken, ohne ihnen sofort folgen zu müssen. Kein Netflix, aber auch kein Bedürfnis danach. Kein abendliches Doom-Scrolling, einfach in den eigenen Rhythmus finden. Mit der Dunkelheit, die hereinbricht, schließe ich die Vorhänge, lese ein wenig, schlafe.

Am Ende meines Aufenthalts werde nicht sagen, dass ich jetzt „bei mir angekommen“ bin. Aber ich habe verstanden, was es heißt, wenn das Außen still genug wird, damit man das Innere überhaupt wieder hört. Der Weg hinunter ins Tal ist derselbe wie bei der Anreise – und doch ist alles anders. Die Geräusche der Welt kehren langsam zurück: das Aufheulen eines Motors, ein Handyklingeln in der Ferne. Aber sie erreichen mich gedämpft, wie durch eine zweite Haut.

Das Ganz-bei-sich-Sein, die innere Stille und Gelassenheit ließe sich freilich auch im Alltag einüben, ist Psychotherapeut Betz überzeugt: „Das kann sich beim Teetrinken genauso einstellen wie bei einem Rockkonzert. Da sind wir sehr unterschiedlich.“

Sandra Bernhofer

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zuletzt geändert am 24.09.2025

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